Die Rose von Darjeeling - Roman
einem Silberschälchen. »Ich soll dir viele Grüße von den Apples ausrichten, der Doc erwartet dich zu Eurer Verabredung. Du sollst den Termin nicht wieder vergessen … Was für einen Termin denn?«
Ungefragt hielt der indische Diener Aldous Whitewater einen Brieföffner auf einem Tablett hin. Der Teepflanzer öffnete mit einem mürrischen Brummen.
»Ach, er meint, da wär was mit meinem Herzen, er will’s gründlich untersuchen. Dabei hatte ich neulich nur eine Kreislaufschwäche. Lag am Wetterwechsel.«
»Neulich?«
»Ja, als du in Sikkim warst.«
»Was ist passiert? Wieso sagt mir das niemand?«
Ihr Vater blickte kurz auf. »Weil ich es allen verboten habe. Darum. War nur ein kleiner Schwächeanfall.«
Kathryn schnappte nach Luft. Sie öffnete den Mund.
Bevor sie auch nur ein Wort herausbrachte, begann ihr Vater zu grinsen. »Dr. Apple sagt, vor allem soll ich mich nicht aufregen. Also verhalte dich entsprechend.«
Kathryn schloss den Mund wieder. Mist! Hoffentlich war es nichts Ernstes. Hoffentlich hatte ihr Vater Recht.
Sie legte den angeknabberten Keks auf ihre Teeuntertasse. Keine Aufregung … Bedeutete das etwa, dass auch positive Überraschungen gefährlich sein konnten? Sie überlegte. Ja, sicher, gab sie sich schließlich selbst die Antwort. Erregung jeder Art wirkte sich auf die Blutgefäße und die Herzfunktion aus.
Ihr Vater zog das Schreiben aus dem amtlich aussehenden Umschlag und las es. Sein Gesicht wechselte die Farbe, wurde erst blass, dann rot und wieder blass. »Diese Schurken! Diese Verbrecher!«
»Einen Gin!«, rief Kathryn. Jay eilte davon, die Medizin zu holen, und war blitzschnell wieder zur Stelle. »Da!«, forderte sie ihren Vater auf. »Trink das. Und reg dich nicht auf.«
»Noch einen!«, verlangte ihr Vater, nachdem er das Glas in einem Zug geleert hatte. Eine Ader an seiner Schläfe trat bläulich pochend hervor.
»Also, bitte: Was ist los?«, wollte Kathryn wissen.
»Wir sind erledigt«, stieß ihr Vater hervor. »Ruiniert, insolvent, zahlungsunfähig. Das Schreiben ist die Ankündigung einer Zwangsversteigerung.«
Bleich lauschte Kathryn den Worten ihres Vaters. Dass es schlecht stand, hatte sie ja geahnt, aber so schlecht?
»Ich bin alle Banken durch, alle in Frage kommenden Investoren. Sie sind durch die Wirtschaftskrise selbst am Kämpfen oder fordern Dinge, die man nicht akzeptieren kann.«
»Was zum Beispiel?«
»Die Big-Tea-Limited-Gesellschaft würde unter unserem guten alten Namen minderwertigen Tee auf den Markt bringen, den sie in tieferen Lagen mit Maschinen ernten.«
»Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ist so was denn überhaupt erlaubt? Und was wird aus den Leuten im Dorf? Siebenhundert Pflückerinnen, Arbeiter, Kinder …«
»Die können sehen, wo sie bleiben.« Whitewater kippte den zweiten Gin. »Einige dürfen vielleicht für lächerliche Löhne putzen oder verpacken helfen. Der Teegarten wird sie nicht mehr alle vernünftig ernähren können.«
»Ich brauch auch einen Gin!«, stöhnte Kathryn.
Der Diener holte noch ein Glas, schenkte ihr ein und stellte ihnen die Ginflasche dann auf den Tisch.
»Sie werden hungern und verwahrlosen«, sagte ihr Vater. »Wie die Leute von Fulham-Smith, seit er sich erschossen hat und sie nach England zurück ist.«
»Das können wir doch nicht zulassen!«
»Wir haben nichts mehr zu entscheiden, mein Kind«, sagte Aldous Whitewater mit gebrochener Stimme. »Unsere Zeit läuft ab. Diese Weltwirtschaftskrise macht alles kaputt!«
»Was ist mit Lord Taintsworth? Er hat Geld ohne Ende und gilt als hervorragender Geschäftsmann …« Kathryn hatte seit ihrer Rückkehr nicht mehr an ihn und seinen Heiratsantrag gedacht.
Ihr Vater schnaubte wütend. »Ja, das ist er, ein berechnender Geschäftsmann!«
»Ein Geschäftsmann muss berechnend sein«, wandte Kathryn ein, »das ist per se nichts Verwerfliches.«
»Ich habe abgelehnt!«, donnerte er.
»Du sollst dich nicht aufregen, Papa. Was hast du abgelehnt?«
Er zögerte.
»Nun sag schon!«
»Er wollte dich dazu«, schnaufte er. »Ich lass mir doch nicht meine Tochter abkaufen! Darüber hinaus müsstest du nach Jersey ziehen, wo sein Anwesen liegt.«
»Moment …« Kathryn nahm einen großen Schluck Gin. Sie kombinierte. Lord Taintsworth hatte sie gebeten, ihn zu heiraten, und ihrem Vater angeboten, in die Teeplantage zu investieren? »Das heißt, er würde dir das Geld geben, wenn ich seine Frau werden würde?«
»Genau.«
»Und wenn ich Nein sage
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