Die Rose von Darjeeling - Roman
Familienbetrieb verzichten würde. Angenommen, er würde Geestra Valley übernehmen können … Immerhin hatte er sich neulich ja schon Gedanken darüber gemacht, wie man die Teesträucher pflanzen könnte, um Schlammlawinen zu verhindern.
Sie traute sich kaum, ihm diese Frage zu stellen. Aber sie wollte doch Klarheit. »Kannst du dir vorstellen, hier …«
Er unterbrach sie. »Ich muss mich korrigieren. Unsere Baumschule im Ammerland liefert mir sogar die Basis für das, was ich als meinen Lebensinhalt sehe. Denn bislang spielten die Rhododendren eine untergeordnete Rolle. Aber mit den neuen Züchtungen …«
Kathryn schaute ihn unglücklich an. Das war es nicht, was sie hatte hören wollen.
Carl deutete ihren Blick richtig und sprang auf. »Ach, Kathryn!« Er stellte sich hinter sie, beugte sich hinunter, schloss seine Arme um sie. Die Wange in ihr Haar geschmiegt, flüsterte er ihr ins Ohr: »Du bist meine über alles Geliebte. Die Frau meines Lebens. Für dich würde ich Kohlen schaufeln, als Hausdiener arbeiten oder sogar Soirees bei den Apples besuchen.«
Kathryn lächelte wehrlos. Und ergab sich dem süßen Rieseln, das Carls Berührungen in ihr auslösten. Er machte zwei Schritte um die Schaukel herum, zog sie hoch und hielt sie fest an sich gedrückt. Sie seufzte, als ihre Knie weich wurden und die Beine wegzusacken drohten.
»Siehst du«, murmelte er sanft und schloss die Augen, »du kannst gar nicht anders. Wir gehören zusammen.« Sie erwiderte seinen Kuss. Als er die Augen wieder öffnete, lag in seinem Blick eine Ernsthaftigkeit, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. »Und ich kann auch nicht anders.«
Zwei Tage und Nächte lang zermarterte Kathryn sich das Hirn. Aber sie kam zu keinem Ergebnis, das ihr, in allen Konsequenzen durchdacht, noch richtig erschien. Und schließlich wollte sie nicht länger grübeln.
Sie hatte plötzlich ein Bild vor Augen, von dem sie sich nun vertrauensvoll leiten ließ. Oft hatte sie Carl dabei zugesehen, wie er unterwegs am Standort besonderer Rhododendren Schlämmproben machte, indem er drei oder vier Zentimeter Erde in ein verschließbares Glas mit Wasser füllte, umrührte und abwartete, wie schnell sich welche Schichten absetzten. Jetzt kann man nichts weiter tun, als warten. Hektik schadet, denken nützt nichts, hatte er ihr beim ersten Mal erklärt. Nach einer Weile war das Wasser wieder klar, und man konnte ganz genau erkennen, aus wie viel Steinchen, Humus, Lehm, Sand oder was auch immer sich der Boden zusammensetzte. Carl notierte sich solche Zusammensetzungen in seinem Büchlein in Steckbriefen. Und genauso würden sich auch ihre Gefühle sortieren. Kathryn wandte sich einfach wieder ihren Tagesaufgaben zu.
Carl beobachtete sie nachdenklich. Dieses Verhalten war wohl Teil ihrer schlafwandlerischen Sicherheit. Er begriff, dass er sie gewähren lassen musste. Außerdem wartete auch auf ihn viel Arbeit. Er gab den bewässerungsfähigen Transportkisten für seine Pflänzchen, Stecklinge und Reiser, die er mit Hilfe der Teegartenarbeiter gezimmert hatte, die letzten Hammerschläge. Er sorgte dafür, dass jeder Rhododendron die richtige Erde erhielt und dass sie nicht zu fest angedrückt wurde. Auch diese Kisten sollten wie ihre Expeditionsausrüstung vor den Passagieren verfrachtet werden – aber so, dass sie unterwegs kontrolliert werden konnten. Deshalb musste Carl erneut mit Tinley und dem Lastwagen nach Darjeeling fahren.
»Ich hoffe, dass wir bei Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sind«, sagte er zu Kathryn.
Sie tauschten einen sehnsüchtigen Blick. Es wäre ihre vorerst letzte Gelegenheit für eine gemeinsame Nacht.
»Ich hoffe es auch!« Sie schaute zum Himmel empor. »Aber jetzt kann jeden Tag der Monsun beginnen. Dann bleib um Gottes willen in Darjeeling! Wir bringen dann morgen dein restliches Gepäck mit.«
»Ich bin so schnell wie möglich wieder bei dir. Jede Stunde ist kostbar.«
»Ich bitte dich inständig«, wiederholte Kathryn, »denk an die Erdrutsche, es könnten Schlammlawinen …« Sie sprach es nicht aus. Carl verstand.
Natürlich musste sie an das Unglück denken. An ihren Albtraum. Er nickte. »Gut, ich verspreche es.«
»Ich komme auf jeden Fall mit zum Bahnhof.«
Gustav hatte Kathryn nach seiner Rückkehr nur kurz begrüßt, seitdem vermied er es, mit ihr zusammenzutreffen. An diesem Nachmittag unternahm er einen Abschiedsritt durch den Teegarten Geestra Valley. Dunkle Wolken verdeckten den Blick auf die Berge und
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