Die Rose von Darjeeling - Roman
der Flanke. Wahrscheinlich von Hirten, die ihre Herde bedroht sahen. Oder von Wilderern. Drumherum war alles stark entzündet, es schwärte richtig ekelig.« Kathryn schenkte nach. »Die Männer meinen, dass er deshalb zu schwach für die freie Wildbahn war und Haustiere gerissen hat.«
Die Aufregung hatte Kathryns Wangen gerötet. Es war das erste Mal, dass Gustav sie seit ihrer Rückkehr aus Sikkim wieder richtig ansah. Aus dem jungen Mädchen war in wenigen Wochen eine sinnliche junge Frau geworden. Ihre Schultern hatten das Füllenhafte verloren, ihre Lippen waren eine einzige Versuchung. Gustav drängten sich Bilder auf, wie sie mit Carl … Er schüttelte kurz heftig den Kopf, als wollte er seine Gedanken verscheuchen.
»Trink«, forderte Kathryn ihn auf. »Deine Nerven müssen sich beruhigen.« Sein Blick streichelte ihr Gesicht.
»Tja. Abschied … Was soll man sagen …«
»Tja. Schon komisch, hier auf der Krankenstation begann euer Besuch, und hier endet er.«
Kathryn nippte an ihrem zweiten Glas. Sie hatte keine Ahnung, was oder wie viel Gustav von Carl über die aktuelle Situation in Geestra Valley wusste. Noch eine Weile sprachen sie über Belangloses, erinnerten sich an Erlebnisse in Sikkim. Gustav schenkte sich erneut nach, gab Wasser in seinen Drink und reichte Kathryn den Whisky pur. Endlich fasste er sich ein Herz.
»Kathryn, nimm mich!«
Sprachlos schaute sie ihn an.
»Heirate mich, nicht Carl.«
»Aber …«
»Mit mir wirst du viel glücklicher werden. Du musst nicht Tag für Tag im Blumenladen stehen und Primeln und Torferde verhökern. Du musst nicht bei jeder Temperatur im Gewächshaus arbeiten, Azaleen entlausen und ausgebeulte Hosen tragen. Du kannst in einer schönen Villa wohnen, sie nach deinen Vorstellungen einrichten und dich ganz der Familie und dem gesellschaftlichen Leben widmen.«
Gustav wusste, dass er nichts zu verlieren hatte.
Kathryns Reaktionen waren durch den Alkohol schon stark verlangsamt. Was hatte er da gerade offenbart?
»Kathryn, ich liebe dich«, hörte sie ihn jetzt sagen.
Das traf sie. Welche Frau trifft es nicht, wenn man ihr eine Liebeserklärung macht?
Kathryn beugte sich langsam vor. Sie schob ihre zusammengelegten Hände über den Tisch und umschloss damit Gustavs Hände. Als müsste sie ein aufgeregtes Kind beruhigen.
»Hör mal zu, Gustav. Ich liebe dich auch.« Er wagte nicht, seine Hände zu bewegen. Bevor das Glücksgefühl, das sich in ihm ankündigte, ihn ganz und gar durchströmen konnte, setzte Kathryn hinzu: »Aber eben nicht so wie Carl.« Sein waidwunder Blick tat ihr weh. Sie wollte ihn trösten. »Weißt du, wenn Carl nicht gewesen wäre, hätte ich mich sicher in dich verliebt.«
»Dann muss ich ihn also umbringen.« Gustav wusste selbst nicht, ob er es ernst oder spaßig meinte.
Kathryn wertete seine Worte als schwarzen Humor. »Das würde nichts nützen. Dann müsste ich dich hassen.«
»Oh.«
Sie schwiegen. Gustav fühlte sich, als hätte man ihm einen Einblick ins Paradies gewährt und ohne Vorankündigung den Vorhang wieder fallen lassen.
»Erinnerst du dich an den Mond über dem Kangch?«, fragte er.
»Natürlich. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.«
»Ich auch nicht.«
»Komm, darauf stoßen wir an.« Ihre Gläser schlugen hart gegeneinander. »Und bitte, halte Carl die Freundschaft!«
»Das kann ich nicht versprechen.«
»Versuch’s«, bat sie. »Versprich mir, dass du es aufrichtig versuchst.«
»Na gut.«
Die Kerze war fast heruntergebrannt, sie begann unruhig zu flackern. Gustav seufzte schwer. »Dann lass uns mal langsam zu Bett gehen.«
»Brauchst du noch ein Schmerzmittel?«
Er verzog das Gesicht. Im Moment reichte der Alkohol. »Gegen den Kater morgen wahrscheinlich …«
Kathryn kicherte. »Stimmt, ich nehm mir auch gleich was mit.«
Sie holte ein Röllchen Tabletten aus dem Medizinschrank. Und auf einmal wurde sie doch sentimental.
»Weißt du, was ich wirklich gerne noch mal wissen möchte?«
»Nein, was?«
»Wer mich damals im Gymkhana geküsst hat, als der Strom ausfiel. Sei ehrlich, Gustav: Warst du das?«
Er lachte unfroh. »Würdest du den Täter denn wiedererkennen?«
»Ich glaub schon.«
»Na dann, zum Abschied …«
Gustavs Gesicht kam näher. Seine braunen Augen schienen zu glühen. Sie verrieten eine große Traurigkeit, aber auch jäh aufflammende, mühsam unterdrückte Leidenschaft. Kathryn schaute ihn an wie hypnotisiert. Was für ein gut ausehender, erotischer Mann er doch
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