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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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eine Hand auf ihrem Rücken, die andere hielt ihre Rechte, und ihr Ellbogen lag hoch auf seinem. Noch drei andere Paare versuchten es auf der Tanzfläche. Julia schloss die Augen. O Gott, dachte sie und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Noch peinlicher kann’s ja wohl nicht werden. In der Tanzstunde hatte sie zwar die Tangogrundschritte gelernt, aber das war lange her. Und sie ließ sich nicht gut führen, immer schon hatten sich die Jungs darüber beschwert.
    Max hielt sie fest und sicher. Sein linkes Bein drängte gegen ihr rechtes, unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. »Vor – vor – Wie-ge-schritt.« Sie erinnerte sich an den Sprechgesang ihres alten Tanzlehrers. »Rück – seit – Schluss.« Julia hörte auf die Musik, spürte den Rhythmus. Und dann die Promenade. »Vor-vor-Schluss-seit. Vor-seit-Schluss.« Sie mochte Tangomusik, sie liebte Tangovideos. Und sie erkannte die Komposition mit Bandoneon, Klavier und Streichinstrumenten – Libertango von Astor Piazzolla, ein echtes Gänsehautstück.
    »Sieh mich an!«
    Julia schlug die Augen auf. Max’ Blick, ernst und konzentriert, fuhr mitten in sie hinein, in ein Energiezentrum tief unterm Bauchnabel. Einen Moment lang bekam sie, erschrocken über so viel Intimität, kaum Luft. Max ging leicht in die Knie, und sie machte es nach. Er glitt mit elegant schleifenden Schritten übers Parkett, beschrieb mit der Zehenspitze langsam einen Halbkreis, sie machte das Gleiche spiegelverkehrt mit der Spitze ihres Pumps. Max führte sie mit den Armen und dem Oberkörper. Neigte er sich vor, wich sie zurück. Und umgekehrt. Sie tanzten, und Julia musste sich anpassen, wenn sie nicht komplett dumm dastehen wollte.
    Ruckartig drehte Max den Kopf. Dieser Blick! Es kribbelte unter ihrer Kopfhaut, auf dem Rücken, überall … Julia dachte nicht mehr, sie schloss wieder die Augen, ließ es geschehen. Sie versank in der Musik. Geschmeidig folgte sie den abrupten Wechseln zwischen lang und schleichend, kurz und zackig. Die Melodie klang herzzerreißend sehnsuchtsvoll. Julia spürte sie körperlich: atemlos, dunkel, pulsierend, süß und gefährlich.
    Kleine Schweißperlen brachen Max aus den Poren. Er hatte sich nicht getäuscht. Diese Frau in den Armen zu halten war etwas Besonderes! Julias Anspannung fühlte er ebenso wie ihre Bereitschaft, sich hinzugeben.
    Sie spielten ein uraltes Spiel. Aus dem Bauch heraus und doch mit Beherrschung. Es war ein ritualisiertes Locken, Kämpfen, Sichzuneigen und wieder Abstoßen. Ein Balzen und Verführen, das sich unerträglich langsam steigerte, immer feuriger und leidenschaftlicher. Die anderen Tanzpaare gaben auf.
    Alle Partygäste schauten zu. Bewundernd. Neidvoll. Knisternde Erotik erfüllte den Raum. Es gefiel Julia, sich führen zu lassen. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Es erregte sie. Und ihn auch, wie ein letzter Blick aus seinen Augen verriet, bevor er sie mit einer Drehung so tief hinunterbog, dass ihre Haare den Boden berührten.
    Lutz erkannte die Frau auf der Tanzfläche nicht wieder. Das war Julia? Susannes schmales Lächeln fror ein. Als die Musik endete, applaudierten alle anderen Zuschauer begeistert. Damit überbrückten sie die Verlegenheit, die Julia empfand, als sie wieder in die Realität zurückkehrte.
    »Holst du mir noch mal das Gleiche wie vorhin?«, bat sie Max nach einem Räuspern.
    »Wow, wo hast du den denn her?«, flüsterte eine Bekannte.
    »Kann ich mir den mal ausleihen?«, fragte eine andere.
    Julia lächelte nur, sie war immer noch außer Atem und fühlte sich etwas schwindelig. So sinnlich wie gerade eben hatte sie sich selten gefühlt! Und noch nie hatte ein einziger Blick sie derart im Innersten getroffen. Sie drehte sich um.
    Dort stand Lutz, und er starrte sie verblüfft an. Ach, tat das gut! Lutz tanzte nicht, abgesehen von Pflichttänzen bei offiziellen Anlässen. Das ist was für Schwule und Hampelmänner, pflegte er zu sagen. Wieso hatte sie diesem Langeweiler nur so lange hinterhergetrauert? Nein, selbst wenn er jetzt mit einem Strauß roter Rosen vor ihr knien würde, wollte sie ihn nicht mehr, sie wollte ihn überhaupt nicht mehr. Sollte er doch mit seiner »Süsan« selig werden.
    Bester Laune nahm Julia ihren Weißwein in Empfang.
    Um Mitternacht gratulierte sie Max zum Geburtstag. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und überreichte ihm ein kleines Geschenk. Er packte es aus, ein Klappmesser mit rotem Griff.
    »Das ist ein erstklassiges, scharfes Gärtnermesser«,

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