Die Rose von Darjeeling - Roman
innerer Anteilnahme. Die Blütenkelche – innen hell schimmernd, am Saum rosa, außen dunkelrosa – schienen dünner als Seide und hielten sich doch aus eigener Kraft. Duftig, voller Poesie, wie frisch gewaschene Bettwäsche für eine kleine Prinzessin! Und diese Staubfäden: filigrane Kunstwerke, die auf schwankenden hohen Stängeln winzige Pakete von Goldkörnchen trugen.
Max staunte. Eigentlich war so eine Blüte ein Wunder! Er schnupperte daran – und sehnte sich nach Julia. Plötzlich wusste er, was sie gemeint hatte. Und was einst seine Großmutter empfunden haben musste, wenn sie glücklich neben ihrer blühenden Rose von Darjeeling im Garten werkelte.
Max ging zu Fuß in die Pension zurück. Unterwegs sah er, dass der Maibaum noch stand. Der Morgen kündigte sich bereits an, als er sein Zimmer betrat. Irgendetwas stimmte nicht. Es kam ihm so vor, als sei es in seiner Abwesenheit diskret durchsucht worden.
Darjeeling
Juli bis August 1930
Über eine Zwangsversteigerung von Geestra Valley sprach niemand mehr, das Schuldenproblem war dank Lord Taintsworth gelöst. Zu sehen, wie ihr Vater auflebte, gab Kathryn Trost. Sobald sie allein war und auf die Schauspielerei verzichten konnte, sackte sie in sich zusammen. Sie weinte viel, aber ließ es niemanden sehen. Nachts, wenn heiße Tränen über ihre Schläfen ins Kissen liefen, weil sie Carl so sehnlichst vermisste, spürte Kathryn ihren Kummer am deutlichsten. Unerbittlich fraß er sich wie ein Riss Millimeter für Millimeter durch ihr Herz. Sie träumte wieder von der Schlammlawine, verfiel in Melancholie. Aber nicht nur an diesen grauen Tagen mochte sie kaum etwas essen, sie hatte gar keinen Appetit mehr und übergab sich häufig. Kathryn hegte größte Befürchtungen ihre Hochzeitsnacht betreffend. Wenn sie sich jetzt schon ständig übergeben musste, wie sollte es dann erst werden? Dass Alfreds Kuss ihr nicht zutiefst zuwider gewesen war, bedeutete keineswegs, dass sie weiteren Intimitäten freudig entgegensah. Wenn Carl sie damals im Dunkel des Gymkhana nicht so alle Sinne erregend gestreichelt hätte, wäre sie ja kaum bereit gewesen für den Kuss des Lords. Sie erinnerte sich an die Parole älterer Damen, die sie hinter vorgehaltener Hand an jüngere weiterflüsterten: Die Augen schließen und an England denken … Jedes Mal, wenn sie ihr Bett mit dem Lord würde teilen müssen, wird es ihr wie ein Verrat an Carl vorkommen.
Noch konnte man die Strecke zwischen Darjeeling und Geestra Valley trotz der Regenfälle überwinden, es dauerte allerdings dreimal länger als sonst. Damit begründete Kathryn, weshalb sie Alfred nicht so oft sehen konnte wie er es sich wünschte, um die Hochzeitsvorbereitungen voranzutreiben. Ein wenig Zeit blieb ihr also noch.
Eines Morgens riss Kathryn beim Überstreifen eine Naht im Oberteil ihres blauen Kleides. Kurz entschlossen zog sie stattdessen Reithose und Bluse an und ging in die Küche.
»Yaya, wo ist der Korb mit den Sachen für die Flickfrau?«
Yaya nahm ihr das Kleid ab, inspizierte die Naht und nickte. Schon eine Weile beobachtete die Köchin Veränderungen an der jungen Frau.
Sie stemmte ihre Arme in die Hüften. »Essen kein Frühstück, Memsahib, und spucken. Brust wird runder.« Ihre wissenden braunen Augen sagten den Rest.
»Nein!«
»Doch.«
»Nein! Yaya, du bildest dir etwas ein …«
Yaya schüttelte den Kopf, ihr schwerer Zopf schwang hin und her.
»Nein …« Kathryn hob eine Hand vor ihren Mund. Zögernd legte sie die andere auf ihren Bauch. »Oder doch?«
Yaya nickte lächelnd.
Aufgewühlt zog sich Kathryn in ihr Zimmer zurück. Ja, es stimmte, ihre Regel war ausgeblieben. Und überhaupt würde das vieles erklären, was ihr an sich selbst seit Wochen seltsam erschienen war. Helle Freude schoss ihr in Herz und Bauch! Ein Baby! Von Carl! Das Kind ihrer Liebe! Das würde sie heilen.
Aber wie sollte sie es dem Lord, sie korrigierte sich selbst in Gedanken, Alfred, sagen? Er würde sie wohl kaum noch heiraten wollen, wenn er wüsste, dass sie das Kind eines anderen erwartete.
Aashmi durfte Mr Singh immer häufiger bei Anproben anspruchsvoller Kundinnen zur Hand gehen. Das machte sie stolz. Sie trug jetzt selbst genähte westliche Kleidung aus einfachen Stoffen. Aber in kräftigen Farben und Mustern, die ihr dunkles Haar und ihr schönes exotisches Gesicht betonten.
Eines Abends, als sie noch spät zu zweit mit Hochdruck an einer Änderung für Mrs Faith arbeiteten, begann der
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