Die Rose von Darjeeling - Roman

erklärte Julia.
    Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. »Ich werde es in Ehren halten«, dankte Max gerührt. Den Kuss hätte er gern angemessen erwidert, aber nicht vor allen Leuten. »Was hältst du davon, wenn wir mal schauen, ob der Maibaum schon geklaut wurde?«
    Julia holte ihren Sommermantel, und sie spazierten langsam am Seeufer in Richtung Kurpark. Sie fühlte sich beschwipst und aufgekratzt. Beiden war klar, worauf die Situation hinauslief.
    »Dein Ex ist ein Blödmann«, konstatierte Max.
    »Warum sollte ich dir widersprechen?«
    Julia vergrub nervös ihre Hände in den Manteltaschen. Es war noch recht frisch, keine laue Maiennacht, aber es roch schon vielversprechend nach mildem Seewasser und Frühlingsblüten. Schweigend schlenderten sie weiter.
    Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen, ging Max eine Gedichtzeile durch den Kopf. Wie wahr!
    »Heute eröffnet der ›Park der Gärten‹«, sagte er schließlich. »Ich bin gespannt auf diese Gendatenbank für Rhododendren …«
    »Ja, das ist eine feine Sache. Sollte unbedingt in deinem Buch vorkommen.«
    »Die Baumschule Jonas nimmt doch auch teil am Rose-von-Darjeeling-Wettbewerb, oder?«, fragte er vorsichtig. »Wäre es nicht ungeheuer spannend, dazu in der Gendatenbank zu forschen?«
    Julia winkte ab. »Wir gehören ja zu den Trägern und sind mit unserer Rhodosammlung auch vertreten.«
    »Ach so …«
    »Es ist ganz toll, was sie da machen. Aber bislang haben sie noch nicht mal ein Drittel aller Rhodowildarten und -sorten erfasst. Und du kannst sicher sein: Wenn es dort nähere Hinweise zum Stammbaum der Rose von Darjeeling gäbe, hätte sie schon längst einer der Züchter abgegriffen.«
    »Das leuchtet ein.«
    Julia blieb stehen. Vergnügt blitzte sie Max an. »Ich will ja den Mund nicht zu voll nehmen, aber ich hege große Hoffnungen, dass wir mit unserer Nachzüchtung gewinnen werden!«
    »Und woher nimmst du diese Hoffnung?«
    »Behalt es bitte für dich, ja?«
    Max nickte. »Ich … äh … ich muss dir auch noch was erklären, Julia …«
    Doch sie hörte gar nicht richtig hin. »Mein Vater, Gerd Jonas, hatte 1991, als der Wettbewerb ausgeschrieben wurde, ganz andere Voraussetzungen als die Mitbewerber.«
    »Wieso?« Max wies auf eine einsame Bank. »Wollen wir uns setzen?«
    Julia nahm Platz. »Er hatte eine genauere Vorstellung als andere Züchter davon, welche Sorten einst gekreuzt worden waren, denn er war im Besitz eines Stammbuches innerhalb der Darjeeling-Reiseaufzeichnungen seines Vaters. Du weißt doch, mein Großvater, Carl Jonas, war ein bekannter Züchter …«
    »Ja?« In Max’ Hirn begann es zu rattern.
    »In diesem Büchlein hat er eng mit Bleistift in einer altmodischen Handschrift, Sütterlin oder so ähnlich, Notizen gemacht«, fuhr sie fort, »das meiste sind botanische Beobachtungen, Skizzen, auch Ausrüstungslisten gibt es und Beschreibungen der Reisestationen.«
    »Klingt ja abenteuerlich …«
    »Die Notizen waren meinem Vater zu mühsam zu lesen, glaub ich. Ich hab’s später auch mal versucht, aber es ist echt schwierig. Na, jedenfalls hat mein Großvater immer auf der linken Seite in Druckbuchstaben nur Stammbucheinträge notiert, also, welche Sorte er womit gekreuzt hat: Vater, Mutter, Großeltern, so was eben … und manchmal daneben charakteristische Blätter oder Blüten gezeichnet.«
    »Und danach hat dein Vater seine Neuzüchtung vorgenommen?«
    »Genau.«
    »Wo ist denn das Büchlein heute?«
    »Im Safe, es gehört zu den Familienschätzen.«
    »Wann genau war dein Großvater in Darjeeling?«
    »Ich glaub, um 1930 herum … Er war auch in Sikkim und hat von dort diverse Rhododendren beziehungsweise Vermehrungsmaterial mitgebracht. Viele unserer heutigen Bestseller haben wir dieser Reise zu verdanken, zum Beispiel den Rhododendron jonasii.«
    »Moment mal«, hakte Max ein, »dein Großvater hat ursprünglich die Rose von Darjeeling gezüchtet? Das ist ja der Hammer!«
    Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich. 1930 hatte seine Großmutter Kathryn im Teegarten ihrer Familie in Darjeeling gelebt. Und auch sie hatte in jenem Jahr an einer abenteuerlichen Expedition mit Pflanzenjägern durch Sikkim teilgenommen. Max dämmerte, dass es einen direkten Zusammenhang geben musste.
    »Aber wieso habt ihr dann kein Originalexemplar mehr davon in eurer Baumschule?«
    Julia zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich war noch zu jung, um solche Fragen zu stellen. Heute ist niemand mehr da,