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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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Schneidermeister, der sich normalerweise britischer als ein Gentleman benahm, von Indien zu sprechen. Dass es für die Nation besser wäre, unabhängig zu sein, weil die Briten ihre Schätze ausplünderten, sich bereicherten auf Kosten der wahren Einwohner.
    »Auch wenn sie Gandhi und Nehru ins Gefängnis gesperrt haben, das wird die Sache nicht aufhalten!«
    Aashmi fühlte sich geehrt, dass ihr Lehrherr über Themen mit ihr sprach, über die eigentlich nur Erwachsene diskutierten. Sie drehten sich um eine Sache, die sie insgeheim schon lange wütend machte: dass das Leben so ungerecht war. Aber konnte man wirklich etwas dagegen tun? War nicht alles von den Göttern vorherbestimmt und gewollt?
    Es gefiel ihr, wie Mr Singh beim Reden Leidenschaft entwickelte. Mit Feuer in der Stimme und in den Augen ließ er sich sogar zu einem agitatorischen »Indien den Indern!« hinreißen.
    »Ich bin aber eine Gurung«, erwiderte Aashmi ein wenig ratlos. Mit anmutiger Geste reichte sie ihm Stecknadeln an.
    Er schob sie sich zwischen die Zähne. »Auch du bist eine Inderin«, sagte er aufrichtig.
    Immer wieder kamen ernste indische Männer in langen weißen Hemden und kurzen schwarzen Westen. Mr Singh zog sich mit ihnen zu vertraulichen Gesprächen zurück. Aashmi bereitete den Tee für die Männer, die rauchten, diskutierten und sehr wichtig taten.
    Eines Tages, nachdem wieder ein Dutzend Aufständischer festgenommen worden war, nahm Mr Singh Aashmi zur Seite. Er schärfte ihr ein: »Du darfst niemandem, auch nicht Miss Whitewater, von den Männern erzählen, die mich manchmal besuchen. Ist das klar?«
    »Kommen Sie dann ins Gefängnis?«, flüsterte Aashmi.
    Ihr besorgter Gesichtsausdruck schmeichelte ihm. Mehr als das. Mr Singh musste sich eingestehen, dass ihm sein jüngstes Lehrmädchen nicht gleichgültig war.
    »Würde es dir etwas ausmachen?«
    In ihren Augen sah er Sterne funkeln, die schmalen Brauen erinnerten ihn an Mondsicheln. Er spürte ein aufregendes Gefühl, das er noch nicht kannte, als müsste nach langer Regenzeit gleich der Himmel aufreißen … Eines wusste er in diesem Moment bestimmt: Er wollte das Mädchen beschützen.
    Aashmi nickte stumm. Ihr Herz pochte schneller.
    Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Halte ihn nur schön verschlossen, diesen süßen Mund. Dann wird mir nichts geschehen.«
    Aashmi nannte ihn weiterhin Mr Singh. Er öffnete ihr die Augen. Er lehrte sie die Liebe und die Grundlagen des Schreibens und Lesens. Dank ihm verstand sie immer besser, was um sie herum geschah.
    Die Kolonialherren antworteten mit Gewalt auf die Unabhängigkeitsbestrebungen des indischen Volkes. Sie knüppelten die Gewaltlosigkeit propagierenden Inder reihenweise nieder, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, die sich darüber empörte und zunehmend mit Gandhi und seinen Anhängern sympathisierte. Die Briten nahmen in Indien zehntausende Menschen fest, folterten und schlugen sie.
    Ohne jede Vorwarnung stürmte eines Abends, als die Männer wieder endlose Debatten im Hinterzimmer führten, ein Trupp britischer Militärpolizisten die Schneiderwerkstatt von Mr Singh. Aashmi brühte gerade in der kleinen Küche Tee auf. Für sie interessierten sich die Männer in Uniform nicht. Sie flüchtete hinter einen Umkleidevorhang, als Mr Singh mit einem Gewehrkolben blutig geschlagen und wie die übrigen Inder beschimpft und abgeführt wurde.
    Mr Singh kehrte nicht zurück. Das Geschäft blieb geschlossen. Aashmi ging jeden Morgen in die Nähe und schaute, ob die amtliche Verplombung an der Eingangstür entfernt worden war, doch nichts veränderte sich. Außer dass es kälter wurde.
    Nach einer Woche fasste sie sich ein Herz. Seit dem frühen Morgen lag Schnee wie ein Laken über Darjeeling, und es schneite weiter. Aashmi kletterte durch das Hinterfenster in die kleine Küche der Schneiderei. Sie lieh sich einen schlichten, eleganten Wollmantel mit passendem Muff aus. Er war für eine Kundin bestimmt, die ihn noch nicht abgeholt hatte. Aashmi suchte die Polizeiwache auf und erkundigte sich nach ihrem Lehrherrn.
    Perplex über die Unverfrorenheit dieses seltsamen nepalesischen Mädchens, das zu wissen begehrte, was man Mr Singh vorwarf, holte der Diensthabende den Polizeibericht hervor.
    »Verschwörung«, lautete der Vorwurf.
    Aashmi beteuerte, Mr Singh sei ein ehrenwerter Mann und treuer Untertan der Krone. Im Muff knetete sie ihre schweißnassen Hände. Aber sie log, ohne rot zu werden. »Er verehrt unseren König

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