Die Rose von Darjeeling - Roman
Blumen im eigens dafür angelegten Firmengarten anregen. Lange Zeit wuchs dort als einziger Rhododendron nur der zwar schön großglockige, aber ansonsten doch recht schlichte griffithianum in Weiß. Carl lächelte wehmütig – den hatte er auch in Sikkim gesehen, sogar in Rosa.
Immer wieder hatten sich die Maler bei Otto Schulz beklagt, dass sie etwas Aufregenderes als Vorbild bräuchten, Rhododendronblüten in kräftigen Farben oder mit origineller Musterung. Das ließ den Obergärtner nicht ruhen. Er begann, den Rhododendron griffithianum mit anderen Sorten zu kreuzen, und letztlich bereicherte er damit die Jugendstilkunst, denn seine Resultate übertrafen in ihrer Schönheit alle Erwartungen. Sie boten den Malern prächtige Farbenspiele – einige waren innen andersfarbig als außen, andere entzückten das Auge mit einem gekräuselten Saum, manche sahen richtig kokett aus, mit dunklen Flecken im Kelch wie Sommersprossen. Die meisten allerdings vertrugen keinen Frost. Als Schulz kurz nach der Jahrhundertwende in den Ruhestand ging, versuchte er, seine Hybriden beziehungsweise die Rechte daran zu verkaufen, doch keine Baumschule in Deutschland zeigte Interesse. Auch Carls Großvater Jonas wusste von dem Angebot, verpasste aber die Chance. Eine holländische Firma in Boskoop kaufte dem Berliner sein Lebenswerk schließlich für einen Spottpreis ab. Sie züchtete mit dem Schulz’schen Material sehr erfolgreich weiter und bedrohte inzwischen als größte Konkurrenz die Existenz vieler deutscher Baumschulen. Carl seufzte. Heute forderte nicht nur Die Gartenwelt in ihren Leitartikeln »Der deutsche Markt den deutschen Rhododendren!« Was für seltsame, unvorhersehbare Auswirkungen der Wunsch der Porzellanmaler zeitigte! Hätte sich doch sein Großvater damals früher um das Angebot gekümmert!
Man muss seine Chance beherzt nutzen, dachte Carl, als er durch ein Gewächshaus streifte, in dem einige Schulz’sche Züchtungen überlebt hatten. Man darf nicht zu lange zögern. Aber hatte er denn überhaupt gezögert? Nein. Er hatte Kathryn doch einen Heiratsantrag gemacht. Die Umstände waren dagegen gewesen. Dass seine Liebste so schnell ein Kind von dem Lord erwartete, traf ihn schlimmer als die Vermählungsanzeige. Irgendwie hatte er immer noch ein unvernünftiges Fitzelchen Hoffnung gehabt, dass Alfred Taintsworth vielleicht frühzeitig dahingerafft oder überraschend eine Geldquelle sprudeln würde und Kathryn und er doch … Aber nun …
Carl nahm es auch Gustav übel, dass er sich so schnell mit einer anderen getröstet hatte. Er selbst sah andere Frauen nicht einmal an. Er bemerkte sie überhaupt nicht: Weder die schmachtenden Blicke der Ammerländer Bauerntöchter beim Erntedankfest noch die Avancen der Bürgertöchter beim Reiterball. Auch so manche Ehefrau wäre gern für ihn schwach geworden. Schlange hätten sie gestanden für den gut aussehenden, weitgereisten Erben der Baumschule Jonas.
Aber Carl wollte sie alle nicht.
Ammerland – Ostfriesland
Herbst 1930 bis August 1937
Mürrisch reiste Carl zurück. Als er zu Hause ankam, warteten dort zwei Briefsendungen auf ihn. Der große Umschlag trug Stempel aus Gangtok, der andere aus Darjeeling. Der Lepcha-Mann hatte sein Versprechen gehalten! Ein Lächeln huschte über Carls Gesicht. Tschukis ältester Ehemann Sonam schickte, mithilfe eines Schreibers, der auf dem Markt in Gangtok seine Dienste anbot, die Rhododendronsamen. Wie Carl es ihm eingeschärft hatte, in unterschiedlichen, verklebten Tüten, auf die er selbst Monate zuvor die jeweiligen Rhododendronblüten aufgemalt hatte.
Die Handschrift auf dem Brief aus Darjeeling kannte er nicht. Sie sah kultiviert aus, wie die einer Dame. Aber Kathryns war es nicht und konnte es auch nicht sein, sie lebte ja längst auf der Kanalinsel zwischen England und Frankreich.
Nervös wog Carl den Brief in seiner Hand. Er hielt den Umschlag an sein Ohr und schüttelte ihn. Es raschelte darin. Carl ging in sein Arbeitszimmer. Er setzte sich an seinen schweren Eichenschreibtisch. Der Brief kann nicht von Kathryn sein, wiederholte er innerlich. Aber er spürte, dass er eine Botschaft von ihr enthielt. Mindestens fünf Minuten saß er so da, spürte sein Herz rasen, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Endlich nahm er vorsichtig seinen Brieföffner und schlitzte das Kuvert auf. Zwei verschlossene Umschläge fielen heraus, außerdem ein Kärtchen, das mit Marya Apple unterzeichnet war. Kathryn bat mich, Ihnen im Herbst
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