Die Rose von Darjeeling - Roman
die reifen Samenkapseln des Rhododendrons hinter dem Glaspavillon zu schicken, schrieb sie.
Carl schüttelte den einen Umschlag, bis dessen Inhalt fühlbar in einer Ecke versammelt lag. Dann schnitt er ihn auf. Die Samen waren mittlerweile aus den Kapseln herausgesprungen, winzigste dunkelbraune Pünktchen. Behutsam legte Carl die Kostbarkeit zur Seite. Im anderen, kleineren Umschlag steckte ein Kärtchen. Darauf standen in Kathryns schwungvoller Handschrift nur drei Worte: Für den Duft.
Natürlich! Das war es, was er vergessen hatte! Der eher unscheinbare Rhododendron über ihrer Bank in Geestra Valley – das Naheliegende hatte er damals übersehen und keinen Ableger mitgebracht.
Fortan war Carl wie ausgewechselt – beseelt von der Idee, diesen Duft, ihren Duft, wieder zu schnuppern, ihn auferstehen zu lassen und ihrer Liebe damit einen Hauch Ewigkeit zu verleihen. Er wollte für Kathryn einen Rhododendron züchten, so wie sie ihn sich gewünscht hatte. Carl wusste jetzt, welche Eigenschaften der unterschiedlichen Rhododendren er kombinieren musste: die Härte vom Zemu-Gletscher, die Farbe und wächserne Leuchtkraft aus dem Yumthang-Tal und den Duft aus Geestra Valley!
»Carl, es ist nicht gut, dass ein junger Mann in deinem Alter allein ist«, sagte seine Mutter eines Tages. Knapp drei harte Arbeitsjahre lagen hinter ihm und allen im Betrieb, der die schweren Zeiten dank Qualität und Zuverlässigkeit überstanden hatte. »Dein Vater und ich, wir würden uns auch gern bald aufs Altenteil zurückziehen. Diese neuen Verhältnisse sind nichts für uns.«
Der alte Jonas hatte jahrelang als Mitglied der Zentrumspartei im Kreistag gewirkt. Seit der Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 war Schluss damit. Aber Friedrich-Wilhelm Jonas hielt mit seiner Meinung trotzdem nicht hinterm Berg. Allmählich wurde es gefährlich. Seine Frau hatte ihn davon überzeugt, dass es besser sei, zu privatisieren.
»Wenn du eine Frau gefunden hast, will er dir die Leitung der Baumschule übergeben.«
Bei aller Liebe und allem Respekt seinem Vater gegenüber kam es immer häufiger zu Reibereien, weil Carl andere Vorstellungen vom Geschäft hatte als sein alter Herr. Und so machte die Aussicht auf Alleinverantwortung ihn offener für die weiteren Vorschläge seiner Mutter.
»Was hältst du von Gesine?«, fragte sie ein paar Tage später betont beiläufig.
»Gesine? Welche Gesine meinst du?«
»Na, die von nebenan, die Älteste von Tütjers.«
»Ach so.«
Der Bauer, dessen Weiden an ihre Baumschule grenzten, hatte eine große Viehwirtschaft, einen Sohn und vier Töchter. Alles stramme Ammerländer Deerns, wie er stolz zu sagen pflegte, blond, munter, mit rosigen Wangen und von zupackender Art.
»Die Gesine wär nicht verkehrt.«
Und, wie Mutter Jonas von Gesines Mutter wusste, auch wohl schon lange in Carl verschossen.
Ein Jahr später waren Carl und Gesine verheiratet. Ein weiteres Jahr später, 1935, kam ihre erste Tochter zur Welt: Katharina, Kathrin gerufen. 1937 erblickte Stammhalter Gerhardt Carl Friedrich-Wilhelm Jonas das Licht der Welt. Großvater Friedrich-Wilhelm feierte das Ereignis gebührend. Er genoss mit dem Zinnlöffel reichlich aus der »Kaltschale«, nach altem Brauch zu diesem Anlass in Branntwein mit Zucker eingelegte Rosinen, und zog dann durch den Ort, wo er in jeder Gastwirtschaft eine Runde Schnaps und Bier spendierte. Dabei kam es zu einem Wortwechsel mit einem früheren Baumschulgehilfen, den er wegen schlechter Leistungen hinausgeworfen hatte, und der sich nun in NS -Uniform wichtig vor ihm aufbaute und große Reden schwang.
»Was faselst du da von den neuen Zeiten?«, herrschte der alte Jonas ihn an. »Ihr braunen Proleten seid schneller wieder verschwunden, als ihr denkt.«
Wirtin Marga stand hinter der Theke und flüsterte: »Wenn das man nich’ Ärger gibt.«
Den gab es bereits zwei Tage später. Friedrich-Wilhelm Jonas wurde zu einer offiziellen Anhörung vorgeladen.
»Carl, ist nicht dein alter Freund Gustav inzwischen ein einflussreicher Mann?«, fragte seine besorgte Mutter. Es waren schon Leute wegen weniger schlimmer Äußerungen eingesperrt worden.
Carl wusste aus den Zeitungen, dass Gustav sich bei großen Anlässen mit seiner Gattin gern neben Parteibonzen fotografieren ließ. Er war in verschiedenen Gremien und im Reichsvorstand seiner Berufsvereinigung in Bremen aktiv. Und er verdiente sich dumm und dämlich mit seinen Teebeuteln, seit er damit die Wehrmacht beliefern
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