Die Rose von Darjeeling - Roman
durfte, deren Aufbau im Frühjahr 1935 begonnen hatte.
Carl überwand sich und rief Gustav an. Der tat erfreut. Carl schilderte ihm knapp die Sachlage und fragte ihn, ob er etwas für seine Familie tun könne. Gustav lud ihn zu einem Besuch ein.
In der Eingangshalle der Teefirma ter Fehn hing das Fell des Schneeleoparden. Eine Sekretärin holte Carl am Empfang ab und brachte ihn in das Chefzimmer.
Gustav hatte zugenommen. Unter der dunkelbraunen Nadelstreifenweste wölbte sich ein kleiner Bauch. Er sah zufrieden aus.
Befangenheit und Freude mischten sich, beides versteckten die Männer hinter Schulterklopfen und lauten Scherzen.
»Nimm doch Platz!« Sie ließen sich in tiefe Ledersessel sinken.
»Cognac? Zigarette, Zigarre?«
»Gibt’s hier auch Tee?«
Gustav lachte. Einen Moment lang war es wie früher.
»Gut, also Cognac und Tee.«
Gustav wies auf ein offenes Wandregal, das mit handbeschrifteten Blechdosen gefüllt war: Tees aus aller Welt, in allen Qualitäten. Carls Blick tastete die Reihen ab, blieb hängen bei den Darjeelings. Ja, es gab noch immer »Geestra Valley«, in zig Varietäten.
»Was hört man denn so?«, fragte er scheinbar leichthin.
Gustav wusste natürlich gleich, was er meinte. »Kathryn hat ihr zweites Kind bekommen, eine Tochter. Müsste jetzt auch schon laufen können. Heißt nach ihrer Mutter Annabella und hat noch einen beeindruckenden Rattenschwanz an Adelsnamen …«
Carl spürte einen feinen Stich ins Herz. Er ließ sich nichts anmerken. »Sieh an …«, sagte er nur und tat, als studiere er weiter die Auswahl des ter-Fehn-Teesortiments.
»Da!«, Gustav wies stolz auf eine Dose in der obersten Reihe.
Carl entzifferte: Robbins’ Hope. FTGFOP . Sikkim. Mühsam erinnerte er sich an die Bedeutungen der Abkürzungen. »Fine … tippy, golden …flowery … orange … äh … pekoe. Richtig?«
»Pyramidal! Frank, du weißt doch: unser alter Colonel Robbins, hat dieses Jahr seine erste Teeernte geschickt. Aus seinem Teegarten in Sikkim. Eine Rarität, nur was für Kenner. Sehr elegant. Willst du den probieren?«
Wie doch die Zeit vergangen war! Carl schnalzte zwar anerkennend mit der Zunge, aber er lehnte ab. »Ich nehme lieber eine ordentliche Ostfriesenmischung mit viel malzigem Assam und Kluntje und Wulkje.«
Wenig später knisterte der rotbraune Tee über einem dicken weißen Kluntje, durch den sich noch ein Faden zog. Klar, im Hause ter Fehn gab’s nur beste Qualität. An dem weißen Zwirn war hochkonzentrierte Zuckerlösung in einem Kristallisationsgefäß wochenlang zu edelstem Kandis herangewachsen. Und sie tranken natürlich aus den typischen dünnwandigen Porzellantassen mit handgemalter Ostfriesenrose: rosarote Blüte, grüne Blätter, stilisierte rotbraune Knospen auf weißem Grund.
Gustavs Sekretärin stellte die Kanne auf ein Messingstövchen und verließ diskret den Raum. Carl starrte auf die Tasse.
»Eigentlich ist es ja eine Bauernrose«, meinte Gustav mit Blick auf das Porzellandekor, »eine Pfingstblume, oder?«
»Ich schätze, es handelt sich um eine Rosa centifolia, die Rose der Maler«, korrigierte ihn Carl. »Alte Sorte, so von 1700, schön voll, hundertblättrig, winterhart …«
»Sicher?«
»Nee.« Carl grinste, er wollte Gustav nicht gleich zu Beginn ihres Gesprächs verärgern.
Mit einem zierlichen silbernen Schwanenlöffel schöpfte er aus einem Schälchen aufgerahmte Milch ab, ließ sie mit einem geübten Schlenker aus dem Handgelenk rundherum am Rande in die Tasse fließen und beobachtete, wie sie schwer und tief in den Tee sank. Konzentriert wartete er ab, bis die Sahne in kleinen Explosionen zu cremefarbenen Wölkchen an die Oberfläche aufstieg, sich ausbreitete und langsam zur Ruhe kam.
Gustav zündete sich eine Juno an. »Wie geht’s denn der Familie?«
»Danke, bestens.«
Auch Gustav war inzwischen Vater. »Unsere Tochter Hella wird nächsten Monat fünf.«
»Habt ihr noch mehr Kinder?«
»Nein.« Beinahe wäre ihm herausgerutscht: nur eines, nur ein Mädchen.
»Und wie gefällt es deiner Frau in Ostfriesland?«
»Ivy vermisst Berlin ein bisschen, sie ist ja eine echte Großstadtpflanze.« Ständig lag sie ihm in den Ohren, dass man hier auf dem flachen Land mit niemandem gesellschaftlich auf dem gleichen Niveau verkehren könne, das kulturelle Angebot sei auch gleichbedeutend mit Ödnis, und wenn sie das alles vorher gewusst hätte … »Aber wir bauen uns jetzt in Bremen direkt am Park ein nettes Häuschen.«
»Und das
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