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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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sowieso vorbei«.
    Seine Mutter jedoch seufzte hörbar erleichtert auf. »Nun bist du auch dem jungen ter Fehn was schuldig, Friedrich-Wilhelm«, sinnierte sie.
    »Papperlapapp, der soll sich mal nicht so haben!« Mühsam hielt der alte Jonas an sich. »Langsam reicht’s mir!«
    »Aber ist doch wahr«, beharrte sie. »Was gerecht ist, muss gerecht bleiben!«
    Ihr Mann stemmte sich mit beiden Armen am Tisch hoch. »Ich will euch jetzt mal was sagen. Der Vater von Gustav war kein Held. Er war ein Feigling, ein Nervenbündel. Der ist durchgedreht, als er den Kanonendonner und die Granaten hörte. Schrie rum, kriegte Panik, wollte aus dem Schützengraben hochklettern und rauslaufen. Er hätte uns alle verraten vor dem Feind.«
    Carl und seine Mutter erstarrten. Ungläubig sahen sie Friedrich-Wilhelm an. Der zwei Jahrzehnte alte Mythos des tapferen Soldaten ter Fehn zerplatzte wie eine Seifenblase.
    »Warum hast du dann jahrelang etwas anderes erzählt?«, wollte Carl wissen.
    »Ich hab nicht jahrelang, sondern nur ein einziges Mal was anderes erzählt, um den kleinen Jungen zu trösten. Die anderen haben es dann immer wiederholt. Der lütte Gustav tat mir leid. Konnte ich ihm sagen, dass wir seinen Vater zweimal zurückgeholt haben und dabei unser eigenes Leben riskierten? Beim dritten Mal ist er uns direkt ins Sperrfeuer der Franzosen entlaufen. Und aus war’s.«
    Carls Mutter holte tief Luft. »Hoffentlich erfährt Gustav es nie«, sagte sie leise. »Das würde er nicht verkraften.«
    Carl stand auf. Ohne ein weiteres Wort ging er ins Haus. Seine Frau Gesine war in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, wo sie gerade das Baby stillte. Sie saß in einem geflochtenen Schaukelstuhl am offenen Fenster, der Kleine nuckelte zufrieden. Im Kinderbettchen hielt die zweijährige Kathrin, halb freigestrampelt, ihr Mittagsschläfchen. Sie atmete mit regelmäßigen Zügen.
    Gesine lächelte Carl an, ihre Wangen gerötet, erhitzt, und bedeutete ihm, leise zu sein. Sie trug ihre weizenblonden Haare jetzt in der schicken Olympiarolle nach innen gedreht, ein paar lockige Strähnchen klebten an der Schläfe. Die Sonne schien auf einen Feldblumenstrauß, der auf der Fensterbank in einem blau lasierten Tonkrug stand.
    Carl lächelte zurück. Er sah das Bild wie ein Gemälde. »Glückliche junge Mutter daheim« müsste es wohl heißen. Vorsichtig näherte er sich auf Zehenspitzen über die Holzbohlen, die trotz der Läufer quietschten und knarrten, wie er schon des Öfteren im Anschluss an seine Kegelabende frühmorgens hatte feststellen müssen.
    Er stellte sich neben seine Frau, legte einen Arm um sie und strich seinem Sohn über das Köpfchen. Eigentlich müsste ich jetzt wunschlos glücklich sein, dachte er. Was kann ein Mann sich mehr wünschen?
    Aber er war nicht glücklich. Er hatte doch einmal erlebt, wie es sich anfühlen konnte: leicht, schwebend, himmelhoch, ganz verinnerlicht und doch weit. Damals mit Kathryn, das war das große Glück gewesen. Ein Gefühl von Angekommensein. Jetzt spürte er in sich Unruhe, Getriebensein.
    Gesine schmiegte ihren Kopf an seinen Arm. Sie schaute mit ihren treuen blassblauen Augen zu ihm hoch, nahm seine Hand, hielt sie an ihre erhitzte Wange. Eine Haut wie Milch und Honig. Carl mochte Gesine, er schlief auch nicht ungern mit ihr. Aber die körperliche Liebe mit ihr unterschied sich zu seinen Erlebnissen mit Kathryn wie die Hügel von Dreibergen zum Kangchendzönga, wie der Schein einer Petroleumlampe zum Sonnenaufgang am Tiger Hill, wie der Geruch von Ammerländer Butterkäse zum betörend berauschenden Duft frisch aufgebrochener Teeblätter. Das Ziehen in seinem Herzen, die verlockende Süße von Kathryns Küssen, die spirituelle Dimension in der Ekstase – all das fehlte ihm in seiner Ehe.
    Gesine hatte den Nachbarssohn Carl schon angehimmelt, als sie noch zur Schule ging. Nicht nur, weil er bis nach Indien reiste. Überhaupt, weil er so ein schmucker Kerl war und weil ihr Herz immer schneller klopfte, sobald er in ihre Nähe kam. Das passierte ihr heute noch manchmal. Doch für solchen Schmalz wie in Liebesromanen und Filmen hatte sie keine Zeit. Es gab immer etwas zu tun, und sie arbeitete gern mit ihren Händen. Sie umarmte auch gern – ihre Kinder und andere Menschen, die sie mochte, und Tiere. Der Impuls brach einfach aus ihr heraus, sofern sie sich nicht eingeschüchtert fühlte.
    Sie hätte es aber dennoch schön gefunden, wenn Carl ihr einmal eine richtige Liebeserklärung … Aber so

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