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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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von Geestra Valley dokumentierten. Irgendetwas an Alfreds Stimmlage irritierte sie.
    »Was soll ich nicht übel nehmen?«
    »Ich weiß nicht recht, wie ich es dir beibringen soll …«
    »Nur geradeheraus, mein Lieber.«
    »Ich denke, Charles’ Begeisterung für seinen Großvater ist auch ein Zeichen dafür, dass der Junge mehr männliche Führung möchte und braucht.«
    Kathryn sah ihren Mann verständnislos an. »Wieso? Du bist doch da …«
    Es stimmte nicht ganz. Alfred war oft in Geschäften unterwegs, von denen Kathryn nur wenig verstand. Es hatte etwas mit Banken und Geld zu tun, und damit, dass Jersey zwar in britischem Kronbesitz war, aber weder Teil des Vereinigten Königreichs noch eine Kronkolonie. Die Regierung der Insel hatte Jersey eigene Finanzgesetze gegeben. Auf diesen Sonderstatus war man stolz. Davon profitierten auch die Taintsworths, die in Saint Helier ein Unternehmen für Finanzdienstleistungen besaßen. Alfred hatte sich zwar aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, doch die Kontaktpflege zu illustren Privatkunden nahm ihn immer noch sehr in Anspruch.
    Deshalb fügte Kathryn schnell hinzu: »Und außerdem werden wir bald einen Hauslehrer für Charles einstellen.«
    »Eben darüber wollte ich mit dir reden. Du verzärtelst ihn. Er braucht jetzt eine harte Hand, eine angemessene Erziehung, wenn er einmal fähig sein soll, sein Erbe anzutreten.«
    »Ich verzärtel ihn nicht«, widersprach Kathryn gekränkt, aber wusste im gleichen Augenblick, dass es stimmte. Sie verwöhnte den Jungen und überschüttete ihn mit ihrer Liebe. All ihre Sehnsucht nach Carl wandelte sie um in mütterliche Fürsorge Charles gegenüber. Und wenn sie ihre grauen Tage hatte, die bei allen mit Rheumaschüben entschuldigt wurden, litten natürlich auch die Kinder. Sie wurden dann von ihr ferngehalten.
    Kathryn spürte einen dicken Kloß im Hals. Sie ahnte, was jetzt kommen würde.
    »Ich will, dass mein Sohn auf ein angesehenes englisches Internat kommt. Nämlich dahin, wo schon ich und meine männlichen Vorfahren erzogen worden sind.« Kathryn verstand, warum. Die Kinder der wichtigen Familien sollten sich schon früh kennenlernen.
    Trotzdem entfuhr ihr eine ungewohnt giftige Bemerkung. »Und von dem ihr alle einen Schaden zurückbehalten habt!«
    »Ach, das sind doch nur Klischees! Letztlich hat es uns nicht geschadet.«
    Höchstens, was die sexuellen Neigungen angeht, dachte der Lord. Sicher hatte er seine Vorliebe für französische Gouvernanten mit Schlagstöcken der Zeit im Internat zu verdanken. Doch dieses kleine Geheimnis war bei Denise im Edelbordell von Saint Helier gut aufgehoben.
    »Aber Charles ist doch noch so klein!«, wandte Kathryn verzweifelt ein. Sie versuchte, Zeit zu gewinnen. »Können wir nicht wenigstens noch ein paar Jahre warten?« Ihr fiel ein weiteres wichtiges Argument ein. »Es wäre auch für Belle viel schöner, mit einem Bruder aufzuwachsen. Sie ist jetzt vier und, erinnere dich, in diesem Alter … Ach, die Zeit bis zum Schulbeginn ist doch so unendlich prägend! Das sagen auch die neusten wissenschaftlichen Studien. Bitte, Alfred! Lass uns noch zwei Jahre …«
    Kathryn stand auf und ging auf ihren Mann zu. Sie umschloss seine Hände. »Bitte!«
    Alfred gab sich geschlagen. Er nickte. »Also gut, noch ein Jahr, aber dann. Sonst verpasst er den Anschluss, es geht um Kontakte fürs Leben.«
    Kathryn wachte schweißgebadet auf. Wieder hatte sie von der Schlammlawine geträumt. Der Alb wollte sie nicht verlassen, er quälte sie nur mit anderen Details als früher. Manchmal sah sie nun ihre Mutter in der zähen Masse untergehen oder hörte ihren Bruder schreien. Manchmal fühlte sie Eiseskälte dazu, schmeckte Schnee. Und in dieser Nacht hatten die Naturgewalten ihr ihren Sohn Charles entreißen wollen.
    Kathryn lag lange wach. Sie dachte an Carl. Mit ihm hatte sie keine Angst mehr gehabt. In seinen Armen wäre jetzt alles gut. Sie sehnte sich so sehr nach ihm, dass es schmerzte. Neulich auf den Klippen im Norden der Insel hatte sie einen Moment lang geglaubt, wie die Möwen in den tiefblauen Himmel abheben zu können – als würde das mächtige Sehnen nach Carl ihr Flügel und die Kraft zum Fliegen verleihen. Manchmal, wenn sie intensiv an ihn dachte, mit allem, was sie zu bieten hatte, nicht nur in Gedanken, sondern mit jeder Faser ihres Seins, dann kam es ihr so vor, als empfinge sie eine Antwort von ihm. Ich denke an dich, ich kann dich auch nicht vergessen, ich liebe dich bis in alle

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