Die Rose von Darjeeling - Roman
nachsichtig. Die Nachttischlampe mit ihren altmodischen Glasperlenfransen warf einen milden Lichtkegel aufs Bett, die schwache Glühbirne schmeichelte. Kathryn war sich sehr wohl bewusst, dass ihr Körper durch zwei Geburten und das Älterwerden gelitten hatte. Aber Carls Haut an ihrer Haut, das fühlte sich so unglaublich schön an, dass davon wohl genügend Schönheit auf sie überging und zurückstrahlte.
Sanft legte sie ihre warme Hand auf eine lange Narbe oberhalb seiner Hüfte.
»Stalingrad 1942«, murmelte er. »Wegen der Verletzung bin ich noch rausgekommen aus dem Kessel, mit einem der letzten Flugzeuge ins Lazarett …«
Eine sichtbare Spur des Kriegserlebnisses, ein deutliches Zeichen seiner Verletzlichkeit. Die Narbe sagte ihr, dass Carl nicht mehr der Mann war, in den sie sich zwei Jahrzehnte zuvor verliebt hatte.
»Verfolgt es dich noch?«
Er atmete schwer. »Jede Nacht hör ich Panzerketten rasseln. Jede Nacht soll ich angreifen und hab Angst.« Das hatte er noch nie jemandem gesagt.
Kathryn verstand ihn. »Ich hab in den Bombennächten manchmal vor Angst fast den Verstand verloren«, sagte sie leise. »Das Einzige, was dagegen half, war selbst zu helfen.«
Er strich ihr die kupferfarbenen Haare aus dem Gesicht. »Du trägst sie jetzt anders.«
»Ja, welliger.« Den tiefen Seitenscheitel hatte sie, wie es Mode war, lang durchgezogen, ein Hauch von Brillantine verstärkte den Glanz. »Und länger … Woran du dich erinnerst …«
Kathryn sah auf die Uhr. »O Gott, schon nach neun. Man wird sich Sorgen machen zu Hause.«
Carl setzte sich auf.
»Ich lass dich nicht wieder gehen.«
»Aber ich muss wenigstens Bescheid sagen …« Kathryn sprang aus dem Bett. Sie duschte, zog sich an. »Bin gleich wieder da.«
In der Hotellobby stand eine Telefonzelle. Sie rief in ihrem Londoner Stadthaus an und sagte dem Butler, es würde spät werden, weil sie spontan noch mit zu Bekannten von der Königlichen Gartenbaugesellschaft gegangen sei.
»Wollen wir essen gehen?«, fragte Carl, der sich inzwischen auch frisch gemacht hatte, als sie zurückkehrte.
Kathryn schüttelte den Kopf. »Es gibt kaum etwas, außer wir gehen ins Claridge’s.«
In den besten Häusern bekam man sogar wieder Roastbeef und Koteletts. »Aber das ist erstens sehr teuer und zweitens treff ich da bestimmt irgendwelche Leute.« Großbritannien hatte zwar den Krieg gewonnen, doch immer noch bestimmten Lebensmittelrationierungen den Alltag. Die Leute schimpften, dass Amerika zwar Millionen in den Aufbau Deutschlands pumpe, den Freund Großbritannien aber verhungern lasse. Man konnte sich heute, sechs Jahre nach dem Sieg, noch Freunde fürs Leben machen mit ein bisschen Schinken, einer Fleischkonserve, Eipulver, Schokolade oder Süßigkeiten. Die meisten Londoner besuchten sich deshalb privat oder trafen sich in Clubs.
»Ist mir auch viel lieber so.« Lächelnd zog Carl sie an sich. »Dann kann ich dich jederzeit küssen.«
Sie klingelten nach dem Zimmerservice und bestellten, was gerade im Angebot war: Irish Stew. Mit einem Riesenappetit machten sie sich in der kleinen Sitzecke im Erker über den deftigen Kohleintopf her. Rufe im derben Dialekt der Flussschiffer drangen zu ihnen empor.
»Viele hoffen, dass sich die Zeiten bessern werden, falls Churchill im Oktober wiedergewählt wird«, erklärte Kathryn. »Auch Alfred ist davon überzeugt. Er gehörte im Krieg zu Winstons Beraterstab.«
»Bist du glücklich mit ihm?«
»Wir führen eine … wie soll ich sagen … eine wohltemperierte Ehe. Ich respektiere meinen Mann.«
»Wo ist er jetzt?«
»Auf Jersey. Ich bin wegen der Chelsea Flower Show hier. Und um meine Tochter Annabella durch die Londoner Saison zu schleusen.«
»Ach, wie geht denn so was?«
Kathryn lachte. »Na ja, sie wird wie andere achtzehnjährige Mädchen aus der Gesellschaft bei Hofe vorgestellt, und dann jagt monatelang eine Einladung zum Tee den nächsten Debütantinnenball. Man gibt Dinner- und Cocktailpartys, die Familien stürzen sich in große Unkosten, jede veranstaltet aufwendige Feste. Das Ganze geht einmal rund. Man beherbergt selbstverständlich einige der Gäste, die bei benachbarten Adelsfamilien eingeladen sind. Und die revanchieren sich später. Am Ende haben sich Cliquen, Sympathien und zarte Bande entwickelt.«
»Aha, das Ganze ist so eine Art Heiratsmarkt für höhere Töchter …«
»Richtig.«
»Klingt anstrengend.«
»Ach, es ist himmlisch, wenn man jung ist! Und auch in unserem Alter
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