Die Rose von Darjeeling - Roman
Whitewater und Gustav sich nun in ein Fachgespräch vertieften, erkundigte Kathryn sich auf Deutsch bei Carl nach der Anreise der Männer und den weiteren Plänen. Er berichtete in kleinen Anekdoten von ihrer Schiffsreise ab Antwerpen bis Bombay und von ihren Zugfahrten durch Nordindien.
Kathryn erzählte, was sie und ihr Vater für die Gäste in den nächsten Tagen geplant hatten. Am Wochenende würden sie in Darjeeling im Planters’ Club, dem traditionellen Treffpunkt der Teepflanzer in der Stadt, einen Empfang mit Abendessen geben – andere Teepflanzer und auch die Verantwortlichen des Himalaya Clubs wurden erwartet.
»Morgen zeige ich euch den Teegarten und die Produktionsstätten. Könnt ihr eigentlich reiten?«
Carl grinste. »Wir kommen vom Land. Es geht schon so einigermaßen.«
»Gut, übermorgen, wenn das Wetter gut ist, könnten wir bei Sonnenaufgang zum Tiger Hill fahren, dem Aussichtspunkt für das Kangchendzöngamassiv. Und anschließend bummeln wir durch Darjeeling.«
Carl stutzte. »Täusche ich mich, oder höre ich da einen winzigen Schweizer Akzent heraus?«
Kathryn lachte ansteckend und warf ihren Kopf in den Nacken. »Ja, grüezi wohl! Es lässt sich nicht ganz verhindern. Ich war auch auf einem Internat in der Schweiz. Aber wenigstens hab ich dort Skilaufen und Bergsteigen gelernt – wenn schon kein akzentfreies Deutsch.«
»Sagen Sie, Mr Whitewater«, fragte Gustav jetzt, »ist eigentlich inzwischen bei Ihnen Post für uns angekommen? Wir warten immer noch auf Genehmigungen vonseiten Sikkims für unsere Expedition.«
»Nein, tut mir leid. Am besten werden Sie in Darjeeling persönlich beim Polizeipräsidenten vorstellig«, schlug er vor. »Er ist General der tibetischen Armee, Spross einer alteingesessenen sikkimesischen Familie.« Gustav war bekannt, dass die vornehmsten Familien in Sikkim, einschließlich der Königsfamilie, Tibeter waren.
»Dabei fällt mir ein«, fuhr Whitewater fort, »ich sollte vielleicht mal wieder die besten Schützen der Region zu einer Tigerjagd einladen.« Er grinste breit. »Möglicherweise befördert das auch Ihr Anliegen. Der Polizeipräsident ist ein begeisterter Jäger. Sie können ihm dann gleich unsere Einladung überbringen.«
Kathryn lächelte. »Ich begleite euch gern und zeig euch, wo alles ist. Aber jetzt bringe ich euch erst einmal in euer Cottage.«
Das schlichte Gästehaus hatte kein fließendes Wasser und keine Badewanne wie das Haupthaus, aber es war gemütlich eingerichtet. Es besaß ebenfalls eine rundum verlaufende Veranda mit Rattanschaukelstühlen. In den beiden Schlafräumen standen je ein schlichtes Feldbett und ein Schrank, in dem kleinen Wohnraum ein Teakholztisch mit Polstersesseln und eine Kommode. Chandra, ein Nepalese mit schwarzer Filzmütze, stand Gustav und Carl als Butler zur Verfügung. Er hatte ihre Kleidung bereits eingeräumt. Die noch verpackte und durchnummerierte Ausrüstung für die Expedition belegte mehr als die Hälfte des Wohnraumes.
Ein Inder huschte durch einen Hintereingang und kontrollierte, ob alles sauber war. Überall in Indien erledigten morgens und abends solche Hilfskräfte, Sweeper genannt, diskret ihre Arbeit. Sie waren aus der Kaste der Unberührbaren und standen für Hindus gesellschaftlich auf der untersten Stufe der Hierachie, doch sie verdienten so gut wie Köche. Das hatte Kathryn ihnen auf dem Weg zum Cottage erklärt.
Als Gustav und Carl sich nach dem Dinner zum Schlafen legten, fanden sie jeder eine heiße Wärmflasche im Bett vor. Gustav warf sie lachend raus, weil er meinte, sie müssten sich an rauere Sitten allmählich gewöhnen, Carl jedoch genoss die angenehme Überraschung – es würde noch früh genug ungemütlich werden. Die Tür zwischen ihren Schlafräumen hatten sie offen gelassen, um sich noch ein wenig unterhalten zu können.
»Kathryn ist ja wirklich ein ganz süßes Mädel«, meinte Gustav.
Carl stimmte ihm zu. »Und zum Glück keine von diesen zimperlichen Ladys.«
»Direkt zum Verlieben!«
»Nee, also das dann doch nicht. Ist ja fast noch ein Schulmädchen, sie erinnert mich an ein junges Füllen, das …«
»…das du bei unserer Ankunft mit deinen Blicken beinahe verschlungen hättest.«
»Junge, hast du eine Fantasie! Ich war nur überwältigt vom Bergpanorama! Aber jetzt lass uns lieber schlafen, ich bin todmüde.«
Am nächsten Morgen empfing Kathryn sie in Reiterhosen, Bluse, Stiefel und Jackett. Mit dem Verwalter Mr Brooks unternahmen sie einen Ausritt
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