Die Rose von Darjeeling - Roman
alpin bis arktisch, und dadurch bedingt ständig wechselnde Flora und Fauna. Carl hatte sich gründlich wie ein Wissenschaftler vorbereitet, alles gelesen, was es zu lesen gab. Sein Herz klopfte vor Erwartung. Die Expedition musste ein Erfolg werden.
Es ging um mehr als seine Entdeckerfreude. Zu teuer war diese Reise, zu groß das finanzielle Opfer, das seine Familie trotz der schlechten wirtschaftlichen Zeiten dafür brachte. Weil er wieder und wieder argumentiert hatte, dass man gerade in Krisenzeiten etwas Besonders anbieten sollte, um sich zu unterscheiden. Sie mussten als Baumschule sowieso in Generationen denken.
Sein Vater hatte ihm schließlich zugestimmt. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass eine erfolgreiche Züchtung nicht selten erst den Kindern und Enkelkindern Ertrag brachte – für eine neue Rhododendronsorte konnten gut und gerne zwanzig Jahre ins Land gehen. Und bis auch die Pflanzenliebhaber sie für sich entdeckt hatten, vergingen oft noch mehr Jahre.
Gustav verband mit Sikkim etwas ganz anderes. Er plante, eines Tages Tee aus Sikkim importieren zu können. Noch nie hatte er irgendwo Tee aus diesem kleinen Königreich angeboten gesehen. Wahrscheinlich existierte dort bislang noch nicht mal eine Teeplantage. Aber vielleicht könnte er helfen, sie zu gründen? Wenn er einen geeigneten Mann fände, einen mit Erfahrung und Tatkraft, würde er ihn finanziell unterstützen. Gustav war sich sicher, dass Tee aus Sikkim mindestens so exquisit schmecken würde wie Darjeeling-Tee. Und er hätte zusätzlich einen einzigartigen Exotenbonus, der den Ruf von ter-Fehn-Tee als Marke für Feinschmecker festigen und seine Konkurrenten ausstechen könnte.
Kathryn bot ihm selbst gebackene Teekuchen und Zitronenplätzchen an. Zu gerne hätte sie gewusst, wovon ihre Gäste träumten. Sikkim regte auch seit jeher ihre Fantasie an. Es lag in Sichtweite, doch noch nie war sie dort gewesen. Ihre Chancen, jemals das magische Königreich mit eigenen Augen und allen Sinnen kennenzulernen, waren jedoch nicht sehr groß, das wusste sie. Auf den Internaten und durch das Vorbild der anderen Teeplanzerfamilien war sie auf ihre Aufgaben vorbereitet worden. Sie hatte eines nicht mehr allzu fernen Tages eine gute Partie zu machen, Kinder zu bekommen, sich gesellschaftlich zu engagieren und ihrem Mann und der britischen Krone eine treue Untertanin zu sein. Eigentlich hegte sie selbst auch keine großen Zweifel an dieser Rolle. Man musste seine Pflicht erfüllen, jeder an seinem Platz. Es war nur so unglaublich schade, dass sie keine Abenteuer erleben durfte. Sie durfte ja noch nicht einmal Ärztin werden.
Kathryn unterdrückte ein Seufzen und besann sich wieder darauf, eine gute Gastgeberin zu sein. »Darjeeling gehörte vor hundert Jahren auch noch zu Sikkim.«
»Genau. Da war hier aber auch noch rein gar nichts«, raunzte ihr Vater. »Wir Engländer haben das Gebiet erst urbar gemacht. Na gut, ein paar deutsche Missionare waren auch dabei. Aber wir haben die Wälder gerodet, die Teegärten angelegt und ein Hundert-Seelen-Nest mit Lepcha-Eingeborenen in eine schmucke englische Provinzhauptstadt verwandelt. Die Verwaltung, die Kultur, die Straßen, Eisenbahn, Rechtsprechung – das ist alles britisch.«
Carl sah Gustav scharf an, um ihn an sein Gelübde zu erinnern, nicht zu politisch zu werden. Gustav nickte also nur höflich.
»Wir Whitewaters sind hier in dritter Generation zu Hause«, fuhr der Teepflanzer fort. »Gleich nachdem der Distrikt 1865 unter britisches Protektorat gestellt worden ist, begründete mein Großvater Geestra Valley.«
Kathryn nahm ihre Tasse. »Trinkt doch, der Tee hat jetzt die richtige Temperatur. Wir halten ihn nicht heiß, weil er auf einem Stövchen oder im Samowar sein Aroma verlieren würde.«
Der helle Aufguss des First Flush schimmerte am Rand der dünnen weißen Porzellantassen hellgrün. Gustav erschnupperte fachmännisch die »Blume«, den Duft, der über der Tasse schwebte.
Carl suchte vergeblich nach Kandis und Sahne für den Tee. Er fand auch keinen Löffel zum Umrühren. Bei den Verkostungen auf den deutlich größeren Teeplantagen in der schwülheißen Tiefebene Assams hatte er nicht genug kriegen können von den kräftigen, malzigen Sorten, deren rotbrauner Aufguss bereits verriet, dass sie die Lebensgeister anregten. Sie entsprachen in etwa dem, was er von zu Hause gewohnt war.
Carl stammte aus dem oldenburgischen Ammerland, das an Ostfriesland grenzte, und in dieser Region
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