Die Rose von Darjeeling - Roman
werden gewebte Stoffe und famoses Kunsthandwerk angeboten – das lieben junge Frauen doch.«
Kathryn stieg gelassen auf ihr Pferd. Sie hob eine Augenbraue. »Ihr solltet froh sein, dass ich mitkomme. Sicher werde ich euch noch nützlich sein. Ich kann Nepali und weiß viel über Erste Hilfe.«
»Aber es ist lebensgefährlich. Überall drohen Gefahren!«, mahnte Carl. »Allein die Brücken sind ein Albtraum!«
Leidenschaftlich entgegnete sie: »Mein Gott, ich dachte, ihr würdet das verstehen! Ich fürchte keine Gefahren, was ich fürchte, ist ein langweiliges Leben!«
Gustav seufzte resigniert. Sie hatten ihr Bestes getan, verantwortungsvoll zu handeln. Aber wenn sie partout nicht wollte … Und irgendwie empfand er auch Stolz für diese mutige junge Frau. Carl ging es nicht anders, das spürte er.
Kathryn lächelte. »Ach kommt, ich darf das. Ich bin doch die Queen of Darjeeling, oder?«, sagte sie in ihrem charmanten, schweizerisch angehauchten Deutsch.
Carl erwiderte ihr Lächeln, Gustav grummelte noch etwas, doch damit war die Diskussion ein für allemal beendet.
Zwei Tage später verließen sie endgültig die Zivilisation. Hinter Gangtok bogen sie von der Handelsstraße ab in Richtung der kleinen Ansiedlung Lachen.
»Man spricht es Laatschen aus«, erklärte der Colonel, der schon einmal dort gewesen war. »Mit etwas Glück sind wir in vier oder fünf Tagen dort.«
Von Lachen war es nicht weit bis Lachung, und dort in der Nähe lag der Zemu-Gletscher. An seinen Rändern, in einer Höhe über viertausend Metern wuchs frostharter Rhododendron. Auf ihn hatte Carl es wegen der Robustheit abgesehen. Und im Yumthang-Tal, rund dreißig Kilometer nordöstlich von Lachen, hatte schon Sir Hooker die schönsten Rhodos entdeckt. Hier hoffte Carl auf Arten zu stoßen, die seinen künftigen Züchtungen ihre Schönheit verliehen.
Die Träger waren schon Stunden zuvor gestartet. Der breite Weg auf dem freien Bergrücken hinter Gangtok verleitete die Reiter dazu, auf ihren Pferden davonzusprengen. Kathryn juchzte. Diese Weite öffnete Kammern in ihrem Herzen, von deren Existenz sie bis zu diesem Tag nichts gewusst hatte. Sie fühlte sich so leicht, so frei!
Die Männer, auch der Colonel, ließen sich von ihrer überschäumenden Lebensfreude anstecken. Mit geröteten Wangen, wehendem Haar und blitzenden Augen sah sie hinreißend aus.
»Jiehar!«, spornte Kathryn ihre Stute an.
Die drei Männer galoppierten mit ihren Pferden hinter ihr her, und flankierten sie dann, bis sie die Träger erreichten.
Sie kamen jetzt durch Eichen- und Pinienwälder. Manchmal huschte Wild vor ihnen ins Unterholz, mal trollte sich ein kleiner roter Pandabär. Ein Träger trat aus Versehen auf ein Stachelschwein. Kathryn entfernte versiert die Stacheln, desinfizierte die Wunden, und weiter ging es.
An einem See, dessen Wasser türkisfarben schimmerte, stießen sie auf eine Gruppe von Pilgern, die unterwegs waren, weil sie zum Vollmond einen heiligen Berg umrunden wollten. Doch die meiste Zeit bewegte sich die Expedition durch menschenleere, unberührte Natur.
»Wie im Paradies …«, flüsterte Kathryn ehrfürchtig, als sie auf einer Anhöhe die Pferde anhielten.
Die Berge erglühten über Kilometer weit in allen Farben, von Scharlachrot und Rosenrot über Purpur, Creme und Weiß. Sie standen am Rand eines Waldes aus blühenden Rhododendronbäumen. Die Bäume waren bis zu sechs Meter hoch, manche noch höher. Knorrig wie Eichen strebten ihre starken Äste in den Himmel.
»Der Rhododendron arboreum«, sagte Carl andächtig.
Gustav bedeutete den Trägern, vor dem Wald eine Rast einzulegen und auf sein Kommando zu warten. Der Colonel blieb bei den Leuten.
Carl sah Gustav und Kathryn an. Allen war feierlich zumute, als müssten sie erst um Erlaubnis bitten, einzutreten. Doch wen? Sie nickten einander stumm zu und ritten dann langsam in die lichte, süß duftende natürliche Kathedrale. Bunte Schmetterlinge flatterten umher, in allen Farben schillernde Vögel flogen von Baum zu Baum, ihr Gesang hallte mehrfach wider. Die Pferde hinterließen ihre Hufspuren auf einem Teppich aus roten, weißen und rosa Blütenblättern. Im Unterholz strotzten hellgrüner Bambus und pinkfarbene Primeln.
Sie hielten die Pferde erneut an und stiegen ab, um möglichst viele Eindrücke in sich aufzunehmen. Vom Regen waren noch einige Stellen sumpfig.
»Das da sind ja … Seht mal hier!«
Carl stürzte begeistert von einem Baum zum nächsten, besah sich die
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