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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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dazwischen leuchteten Ornamente in Ockergelb und Hellgrün.
    Man bot ihnen salzigen Schwarztee mit Ziegenmilch an. Der Rinpoche benetzte eine Fingerspitze mit dem Tee und schnipste die Flüssigkeit als Opfer für die hungrigen Geister, wie er erklärte, in die Luft. Er empfahl ihnen, zur Vorbeugung gegen die Höhenkrankheit regelmäßig diesen Tee zu sich zu nehmen, am besten mit Yakbutter, und schenkte ihnen eine Art Ziegel. Erst später entdeckten Gustav und Carl, dass es sich um zu Pulver zerstampften und gepressten Tee handelte. Sie tranken den po cha im Kloster aus länglichen Bambusrohrgefäßen. Gustav fürchtete um seine feinen Geschmacksnerven.
    Der weise Lehrer schien ununterbrochen zu lächeln. Auf dem Weg der Erkenntnis übe er schon seit Jahrzehnten Mitgefühl und Barmherzigkeit gegenüber jedem Lebewesen, erklärte der Colonel später. Die verinnerlichte Ethik spiegelte sich auch äußerlich in seinem Gesicht wider.
    Minglin Rinpoche erkundigte sich nach dem Ziel ihrer Reise. Robbins übersetzte, dass sie auf der Suche nach Rhododendren seien.
    »Ah, lali gurans – Rosenbäume!« Der Weise nickte interessiert. »Unsere Nationalblume! Sie wird auch korlinga oder nilo chimal genannt.«
    Carl lauschte aufmerksam, um ja keine Information zu verpassen.
    »Seht her, diese Rhododendronblätter nehmen wir wegen ihres Aromas bei Zeremonien zum Räuchern. Ihr Holz sollte man aber auf keinen Fall verbrennen, weil es außerordentlich übelriechend ist.« Minglin Rinpoche verzog angewidert die Nase. Dann lächelte er verschmitzt. »Aber dafür ist es hervorragend geeignet, um daraus Messergriffe zu schnitzen.« Er wusste zudem, dass eine bestimmte Rhododendronart giftig war, zu erkennen an ihrer auffallenden Farbe. Er wies auf einen zinnoberroten Dämon an der Decke des Raumes. »Davor hütet euch! Die Blüten dieser Art haben schon so manches Schaf getötet.«
    Kathryn fühlte sich ein wenig beklommen, doch zugleich gut aufgehoben in der Gegenwart des obersten Lamas. Ihr war, als könnte er bis auf den Grund ihrer Seele blicken. Auch Carl und Gustav spürten die Kraft, die von diesem Mann, aber auch von dem Ort, an dem sich das Kloster befand, ausging.
    Bald sprachen sie über das Leben im Allgemeinen. Über den Tod und das samsara, das ewige Auf und Ab des Lebensrades. Gustav fragte den weisen Lehrer, welches sein Ratschlag an sie sei.
    »Hütet euch vor Gier, Hass und Verblendung«, antwortete Minglin Rinpoche. »Stattdessen übt Achtsamkeit. Nehmt wahr, was wirklich ist. Bewertet nicht.« Er lächelte verhalten. »Und glaubt nicht alles, was Lehrer oder Führer euch sagen. Prüft es selbst.«
    Wortlos schlürften sie ihren Tee. Der strenge Ziegenmilchgeschmack legte sich hartnäckig auf ihre Zungen.
    Doch der Rinpoche hatte auch Fragen an die Gäste.
    »Wie viele Männer darf im fernen Deutschland eine Frau haben?«
    Kathryn errötete, aber Gustav antwortete gleich, und Robbins übersetzte. »Nur einen, also, einen Ehemann.«
    »Ah. Habt ihr vielleicht eine Zeitung mit Fotografien aus der weiten Welt dabei?«
    »O ja, wenn ich Euch damit eine Freude machen kann …«, etwas umständlich kramte der Colonel eine zerknitterte Times aus seiner Tasche, strich sie glatt und überreichte sie dem Mönch.
    »Oh, vielen Dank. Ich habe außerdem von Gläsern gehört, mit denen man sehr weit in die Ferne sehen kann.«
    »Ja, wir haben ein Fernglas dabei.«
    »Darf ich einmal hindurchschauen?«
    »Aber gern. Jetzt gleich?«
    Der Rinpoche lächelte ein wenig mehr als sonst. »Es hat Zeit. Möchtet ihr das Kloster sehen?«
    »Das wäre fabelhaft.«
    Der alte Mann erhob sich mit der Leichtigkeit eines Jünglings und schritt voran. Auf dem Hof übten Novizen einen religiösen Tanz. Der Rinpoche führte sie durch die unteren Klosterhallen. Er zeigte ihnen geschnitzte Masken, prächtige Gewänder und fantasievolle Kopfbedeckungen für Festtage. Als sie wieder draußen waren, wies er auf einen Wasserfall in den Bergen.
    »Seit über fünfzig Jahren sehe ich jeden Tag auf das stürzende Wasser«, sagte er. »Es ist immer dasselbe und nie dasselbe.«
    Robbins reichte ihm sein Fernglas. Er zeigte ihm, wie man die Schärfe richtig einstellte. Dem würdigen Meister entfuhr ein kleiner Freudenschrei. Er erzählte, dass er erkennen könne, wie sich unten am Wasserfall Menschen wuschen. Eine Frau kämme einem Kind die nassen Haare. Der Lama war sichtlich erfreut. Er rief etwas, und drei andere Lamas eilten herbei. Er reichte ihnen das

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