Die Rose von Darjeeling - Roman
wie sich was mendelt«, neckte sie Gustav.
»Auf jeden Fall möchte ich lieber in Ostfriesland leben«, sagte Gustav, »auch um den Familienbetrieb in Leer weiterzuführen.«
»Ja, ich weiß, ter-Fehn-Tee hat einen guten Namen.«
»Ich bin das auch meinem Vater schuldig.«
»Du hast ihn doch kaum gekannt.«
»Aber ich fühle mich verpflichtet. Sein größter Wunsch war es, eine Dynastie zu begründen. Er war sehr glücklich über meine Geburt. Mein Großvater und meine Mutter haben mir viel von ihm erzählt. Und Carls Vater auch. Der war nämlich dabei, als er bei Verdun fiel. Im November 1916. Der alte Jonas sagt, mein Vater habe seine Kameraden retten wollen und sich heldenhaft für sie geopfert … Er wurde von einer Granate zerfetzt.«
Kathryn schwieg eine Weile. Wie schrecklich musste diese Nachricht für Gustav damals gewesen sein! Sie überlegte, ob es nicht schwierig für ihn war zu sehen, dass Carls Vater noch lebte. Noch dazu nur deshalb, weil sein Vater gestorben war! Kathryn wusste aus eigener Erfahrung, wie ein solcher Verlust das Leben überschattete. Sie beneidete jede Freundin, die eine Mutter hatte, glühend. Gerade die fürsorglichen Freundinnenmütter, die viel Verständnis für alle Sorgen ihrer Töchter zeigten, konnte sie kaum ertragen. Sie vermied es, diese Freundinnen zu Hause zu besuchen. Unzufriedene Charaktere wie die ewig nörgelnde Mrs Cox waren ihr da lieber. Schmerzhaft fand Kathryn es auch, wenn sie in Gegenwart ihres Vaters einen anderen Mann mit seinem Sohn sah, besonders, wenn der im Alter ihres verstorbenen Bruders war. Sicher hätte ihr Vater auch lieber einen Sohn als eine Tochter. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber gewesen, Aldou hätte das Unglück überlebt und nicht sie … Rasch schob sie den quälenden Gedanken wieder zur Seite.
»Er gab sein Leben für das seiner Kameraden …«, wiederholte Gustav aufgewühlt.
Kathryn wagte nicht zu fragen, welcher Nationalität der Feind gewesen war, der Gustavs Vater getötet hatte.
»Damals im Weltkrieg haben auch Deutsche und Engländer aufeinander geschossen«, sagte sie schließlich. »Hoffentlich passiert das niemals wieder.«
Gustav schwieg.
Leise fragte Kathryn: »Glaubst du an Wiedergeburt? Oder an ein Leben nach dem Tode?«
»Nein.«
»Nein?«
»Tot ist tot. Aus und vorbei.«
Gustav stand auf und inspizierte mit einem brennenden Scheit das ruhigere, der Strömung abgewandte Ufer ihrer Insel. Dort, wo sich zwischen Felsbrocken und Schlinggewächsen Wirbel bildeten, vermutete er Fische.
»Kannst du mal halten?«, bat er Kathryn im Flüsterton und reichte ihr die Fackel. »Fische sind neugierig. Das Licht lockt sie an.«
Sie leuchtete ihm nah an der Wasseroberfläche. Und Gustav ließ nun sein Bambuszweiggitter, mit Steinen beschwert, tief ins Wasser eintauchen. An die Seiten hatte er in Ermangelung richtiger Seile die biegsamsten Streben geknotet und sie dann mit Pflanzenfasern oben zusammengebunden. Das Licht des Mondes und der Feuerschein reichten aus, um zu erkennen, dass tatsächlich immer wieder Fische an dieser Seite die kleine Insel passierten, sogar manchmal kurz standen.
»Schneeforellen sind das, glaube ich«, flüsterte Gustav. »Und jetzt aufgepasst!«
Als drei oder vier Fische über der behelfsmäßigen Senke standen, riss er sie mit einem Ruck hoch. Kathryn zog unwillkürlich den Kopf ein, als Fische und Steine auf die Insel flogen. Ein Fisch machte nur einen Salto überm Wasser, einer schaffte es mit heftigen Bewegungen zurück in sein Element, einen verloren sie aus den Augen. Aber ein kleiner Fisch lag zappelnd und glitzernd nah dem Lagerfeuer! Gustav rieb seine Hände mit Sand ein, packte ihn, schlug den Kopf gegen den Felsen und nahm ihn mit Hilfe seines Taschenmessers aus. Sie spießten die kleine Schneeforelle auf einen Ast und brieten sie über dem Feuer.
»Hätte ein wenig raffinierter gewürzt sein können«, scherzte Gustav, »und macht trotzdem Appetit auf mehr. Ist ja weniger als eine Vorspeise.«
Kathryn sprang auf, hüpfte auf der Stelle.
Gustav schaute amüsiert zu. »Musst du austreten, oder tanzt du ›Hungrige Frau, gefangen auf einem Felsen in Sikkim‹?«
Sie kicherte. »Mein Bein ist eingeschlafen. Es piekst und sticht.«
»Setz dich!«
Gustav massierte ihr Bein. Die Durchblutung kehrte allmählich zurück. Seine kundigen Handgriffe lösten kleine, wohlige Schauer in ihr aus.
»Hmm … das tut gut.«
»Besser?«
»Ja, jetzt geht es wieder.«
Sie bedauerte insgeheim,
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