Die Rose von Darjeeling - Roman
dass er aufhörte, andererseits war sie froh. Weil sie wieder diese dunkle Anziehungskraft spürte, die in ihrem Bauch etwas weckte und zum Strömen brachte, das sehr mächtig schien – ebenso verlockend wie Angst einflößend. Wahrscheinlich gefährlich, unkontrollierbar gewiss. Nein, da war es schon besser, sich zurückzuhalten.
Kathryn entspannte sich und lauschte den Lauten der Natur. Durch das stetige Brausen des Wasserfalls drangen ab und zu Vogelrufe und andere Tierstimmen. Doch plötzlich schreckte sie ein anderes Geräusch auf, einem Donnern ähnlich, dann mehrstimmiges Kläffen und Jaulen. Ihre Augen erkannten in der Dunkelheit am Ufer schemenhaft, wie ein Sambahirsch vorbeigaloppierte, kurze Zeit später folgte ein Rudel blutrünstiger Wildhunde.
Kathryn rückte wieder näher an Gustav heran.
»Ein bisschen unheimlich ist es hier ja schon. Erzähl mir noch ein wenig. Bist du mehr bei deinem Großvater oder bei deiner Mutter aufgewachsen?«
»Meine Eltern wohnten in einem Dorf nahe dem Städtchen, wo sich das ter-Fehn-Stammhaus befindet. Meine Kindheit hab ich dort auf dem Lande verbracht. Ich begleitete meinen Vater oft zur Arbeit, hab schon früh Teeverkostungen mitgemacht.« Er lächelte in der Erinnerung, dann trübte sich seine Miene. »Aber Mutter und Großvater mochten sich nicht besonders. Er warf ihr vor, sie hätte meinen Vater nur des Geldes wegen geheiratet.«
»Wie furchtbar!«
»Sie konnte das Haus nach Vaters Tod nach dem Krieg nicht mehr allein halten, Großvater wollte sie nicht um Unterstützung bitten. Deshalb zog sie zurück zu ihrer Mutter. Ich war damals dreizehn. Seitdem besuchte ich ihn nur noch in den Ferien.«
»War denn immer klar, dass du den Teehandel übernimmst?«
»Ja, daran gab es nie Zweifel. Es macht mir auch wirklich Freude.«
»Hat deine Mutter wieder geheiratet?«
»Nein. Ich hab entscheidende Jahre in einem reinen Frauenhaushalt verbracht – mit Mutter, Tante und Oma.«
»Das ist ein schweres Schicksal.«
»Na, dafür kann ich Frauen aller Altersgruppen um den Finger wickeln.«
»Ach, ist mir bislang völlig entgangen«, zog sie ihn auf.
Er packte sie und kitzelte sie durch, bis sie um Erbarmen bettelte. Sie kicherte und quiekte vor Vergnügen. Sein Mund war ganz dicht vor ihrem. Seine Augen spiegelten die Glut des Feuers wider. Kathryn fühlte seine Erregung. Sie hörte auf zu lachen, schloss die Augen und erwartete seinen Kuss.
Doch auf einmal veränderte sich die Anspannung seines Körpers. Behutsam ließ Gustav ihren Kopf auf das Bambusblätterpolster sinken. Noch atmete er schneller. Aber er setzte sich wieder aufrecht hin, mit dem Rücken zur Felswand. Sichtlich bemüht um Kontrolle, um Selbstdisziplin.
»Weißt du …«, begann er heiser, mit Bedauern in der Stimme – und verstummte. Er wollte sinngemäß etwas sagen wie: Carl ist mein bester Freund, er ist ein großartiger Kamerad, und wir haben eine Abmachung, die ich nicht brechen will. Aber er brachte es nicht über die Lippen.
Auch Kathryn richtete sich auf und lehnte sich benommen zurück. »In Ordnung, überzeugt«, versuchte sie witzig zu sein. »Ich ziehe meine despektierliche Bemerkung von vorhin zurück.«
Wieder saßen sie eine Weile da, und niemand sagte ein Wort. Man konnte ihren Atem als weißen Hauch sehen, so kalt war es geworden.
Kathryn stand auf, um mit den Händen Wasser aus dem Strom zu schöpfen und zu trinken. »Brrr…« Eine Sprühregenwolke bereitete ihr eine Gänsehaut.
Gustav machte eine besänftigende Kopfbewegung, zwinkernd hob er erneut seinen Arm. »Na, komm schon.«
Vorsichtig begab sich Kathryn wieder in den Schutz seines Armes, und irgendwann nickten sie beide ein.
Carl schlief schlecht. Immer wieder schreckte er aus dem Schlaf auf. Der Verlust seiner Leica schmerzte ihn sehr, aber mehr noch beschäftigte ihn die Frage, was sich jetzt wohl zwischen Gustav und Kathryn auf der kleinen Insel abspielte. Seine Fantasie malte ihm Szenen aus, die er nicht sehen wollte. Bestimmt würden sie sich gegenseitig wärmen, das war ja auch ein Gebot der Stunde, aber dann … Kein Mann, der eine so süße, verführerische junge Frau wie Kathryn in den Armen hielt, konnte sich beherrschen. Er würde sie küssen. Mindestens das.
Unruhig warf Carl sich auf die andere Seite. Als auch das nicht half, wieder in den Schlaf zu finden, setzte er sich auf. Lange vor Sonnenaufgang saß er mit gepackten Sachen neben dem Lagerfeuer.
Colonel Robbins leistete ihm bald Gesellschaft.
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