Die Rose von Darjeeling - Roman
dieser hier: Das Beste am Rhododendron fulgens ist seine graurosafarbene Rinde. Sie schält sich sehr apart.«
Kathryn fragte sich, ob Carl es auch spürte. Das musste er doch! Die Sonne schien ihr ins Gesicht. Vorsichtig blinzelte sie ihn von der Seite an. Ihm war ein Bart gewachsen. Ob er sehr kratzte?
»Streich mal sanft mit den Fingerspitzen darüber«, forderte Carl sie auf.
Sie fühlte sich ertappt, errötete verwirrt. »Wie bitte?«
Er hielt ihr ein noch nicht getrocknetes Rhododendronblatt hin. »Na, hier über die Unterseite.«
Ganz langsam fuhr sie über die pelzige Unterseite und sah Carl überrascht an. »Das ist angenehm, ein bisschen prickelig …«
Wie liebevoll er feinste Nuancen der Natur zu würdigen verstand! Sie spürte, dass Carl schneller zu atmen begann. Und er sah sie so seltsam an …
»Äh … solchen Belag nennt man Indumentum. Es gibt ihn in unterschiedlichen Farben, in Weiß oder in Rot. Oft bildet die andersfarbige Oberseite einen delikaten Kontrast dazu. Äh …«
Weshalb war er plötzlich so unkonzentriert? Ob es an der Höhenluft lag?
»Also, einige Rhodos verdanken dem Indumentum ihren besonderen Reiz. Weißt du, sie müssen nicht immer blühen, um attraktiv zu sein.«
Gustav kam mit einem Klapphocker auf sie zu und setzte sich zu ihnen. »Oh, Biologieunterricht!« Er grinste. Wie oft hatte er sich schon solche Vorträge anhören müssen!
Kathryn hielt Carl ein neues Reagenzglas hin. »Carl befruchtet mich gerade.«
Sie sah, dass Carls Hand zitterte. Mehr als die Hälfte der Pollen ging daneben.
»Und dieser, der Rhododendron smithii, wird über sieben Meter hoch. Er blüht scharlach- bis dunkelrot. Besonders hübsch sind diese dunklen Staubfäden …«
Kathryn hatte Carl wieder fasziniert zugehört, aber jetzt nahm sie wahr, dass die lagernden Kulis von Unruhe erfasst wurden.
»Die Männer vom Krankentransport kehren zurück!«, rief Frank Robbins ihnen zu.
Die Träger wurden herzlich willkommen geheißen und bewirtet. Die Höhenkranken seien auf dem Wege der Besserung, erzählten sie. Alle waren erleichtert.
Am Abend nahm Gustav Carl zur Seite. »Ich mach mir Sorgen, mein Junge«, sagte er.
Carl blickte ihn erstaunt an. »Wieso?«
»Du hast vorhin den Rhododendron hodgsonii mit einem smithii verwechselt.«
»Ach, Unsinn!«, erwiderte Carl ärgerlich. »Wer ist hier der Experte?«
Als Carl sich an diesem Abend in seinem Schlafsack zusammenrollte, dachte er noch lange nach. Doch insgeheim musste er Gustav Recht geben. Etwas geschah mit ihm. Er konnte es nur noch nicht benennen. Hoffentlich bekam er kein Fieber. Der Zemu-Gletscher wartete auf ihn, und er wollte keinen Augenblick ihres aufregenden Abenteuers verpassen.
Nachts hatte es gefroren. Doch die Sonne schien warm, als sie früh mit einer kleinen Gruppe zu Fuß vom Basislager aus zu einer Exkursion aufbrachen. Schon am Vormittag stießen sie auf einen Fluss, den sie zu überqueren beschlossen. Nicht weit entfernt stürzte ein Wasserfall in den Strom. Es gab keine Brücke, aber einige Felsbrocken ragten aus dem Flussbett und bildeten eine Art Straße, die mit Geduld und Geschicklichkeit passierbar schien.
Die Sonne brannte Kathryn heiß in den Nacken, sie war jedoch froh, nicht mehr frieren zu müssen. Außerdem konnte man besser balancieren, wenn die Glieder nicht steif vor Kälte waren.
Gustav und Kathryn schafften es als Erste ans andere Ufer. Ihnen folgte ein Träger, in dessen Gepäck sich unter anderem Carls Kamera befand. Plötzlich, der junge Bhotia hatte etwa ein Drittel der Strecke bewältigt, verlor er das Gleichgewicht. Er rutschte aus, fiel ins Wasser und schrie um Hilfe. Kathryn und Gustav sahen entsetzt, wie er mit der Strömung davongerissen wurde, aber dann schaffte er es, sich an einem Baumstamm festzuklammern, der sich zwischen Felsbrocken verfangen hatte. Das Gepäck hatte er verloren, zum Glück blieb es jedoch ein Stück weiter zwischen zwei Felsbrocken hängen.
Carl zog, ohne weiter nachzudenken, seine Jacke aus und band sich ein Seil um den Bauch. Mit einem Aufschrei beobachtete Kathryn, wie er in den eiskalten Fluss stieg und sich durch die gefährliche Strömung bis zu dem Träger vorkämpfte. Robbins und der Sirdar hielten das Seil fest. Carl zog den Mann aus dem Wasser. Er war bewusstlos, hielt seinen Arm seltsam verdreht. Als er sah, dass der Bhotia keine weiteren schweren Verletzungen hatte, wandte Carl sich um. Vielleicht war seine Kamera noch zu retten … In diesem Moment
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