Die Rose von Darjeeling - Roman
sich ständig verändernde Vegetation. Es gelang ihnen nur knapp, einer Steinlawine auszuweichen, die durch die vom Himmel kommenden Wassermassen ausgelöst worden war. Die Expedition glich immer mehr einem Trupp Kriegsheimkehrer. Oft mussten sie von den Pferden absteigen und gehen. Der Träger mit dem gebrochenen und nur notdürftig geschienten Arm konnte nicht tragen. Zwei Männer hatten sie wegen der Höhenkrankheit zurücklassen müssen. Ein weiterer Kuli und Carls Leibdiener klagten über heftige Übelkeit, Schüttelfrost und erbrachen sich im Gebüsch.
Kathryn hatte ihre Regel, was sie sich selbstverständlich nicht anmerken ließ, sie aber einige Energie kostete. Gustav schleppte sich bleich neben ihr voran. Besorgt beobachtete sie ihn. Seine Stimme klang heiser. Er nieste ohne Unterlass, und seine Nase war rot geschwollen.
»Ich hab etwas gegen Erkältungen dabei«, bot sie ihm an. »Hast du dir sicher auf der Insel geholt.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist keine Erkältung. Wenn ich so oft hintereinander niese, ist es meine Allergie.« Er schniefte. »Ist nur am Anfang so heftig und auf dem Gletscher sowieso wieder verschwunden.«
Ich hab ganz andere Probleme, dachte Gustav. Er wollte mit Carl über seine Gefühle zu Kathryn sprechen, doch die Gelegenheit war alles andere als günstig.
»Kenn ich schon«, sagte Carl. »Das hat er seit seiner Kindheit. Gustav ist allergisch gegen irgendein Gras, aber die Ärzte haben bislang nicht rausgefunden, gegen welches.«
Kathryn bedauerte Gustav, was Carl gar nicht recht war, sein Mitleid hielt sich in Grenzen. »Wir sollten uns mal um die beiden kümmern, die sich dauernd in die Büsche schlagen«, lenkte er ab. »Die Höhenkrankheit ist es wohl nicht.«
»Aber was dann?«, fragte Kathryn, die im Geiste die möglichen Ursachen und ihre begrenzten Hilfsmöglichkeiten durchging.
Frank Robbins seufzte. »Hoffentlich nichts Schlimmes und nichts Ansteckendes.«
Sie erreichten eine Schlucht, über den Abgrund führte nur eine einzige abenteuerliche Brücke.
»Nicht schon wieder!«, stöhnte Kathryn.
Wenigstens besaßen Carl und Gustav die Größe, ihr nicht unter die Nase zu reiben, dass sie sie ja gewarnt hatten.
Von ihrer Seite aus ragte ein natürlicher Felsenbogen bis zur Mitte der Schlucht. Die andere Hälfte des Übergangs bestand aus Bambusstämmen, die von der gegenüberliegenden Seite einfach herübergekippt worden waren. Den Fluss darunter konnten sie nicht sehen, aber hören – er tobte wie ein Ungeheuer, und das Echo, das von den Felswänden zurückschlug, vervielfachte noch sein Grollen.
Die Gurkhas begannen mit ihren langen, gebogenen Messern aus einem Bambushain Baumaterial zu schlagen. Zwei von ihnen versuchten, auf allen vieren kriechend, mit Querhölzern und Flechtwerk die Stabilität der wackligen und durch den Dauerregen glitschigen Stämme zu verbessern. Aber die geländerlose Konstruktion wirkte immer noch lebensgefährlich. Die Männer beratschlagten, ob sie einen großen Umweg nehmen sollten.
Plötzlich wies einer der Träger auf die andere Seite der Schlucht, und Kathryn erschrak. Zwischen hohen grünen Stauden starrten sie fremdartige, verschmutzte Wesen an. Offenbar waren sie schon eine Weile beobachtet worden. Der Sirdar erklärte, dass es Lepchas seien, die scheuen Ureinwohner Sikkims, die durch die Einwanderung anderer Bergvölker im eigenen Land in die Minderzahl geraten waren. Der mongolische Einfluss war unverkennbar – sie waren klein, hatten muskulöse Arme und flache Gesichter mit schmalen Augen.
Colonel Robbins rief ihnen etwas zu. Sie verschwanden, kehrten aber nach einer Weile mit Verstärkung zurück. Der Sirdar warf ihnen ein Seil hinüber.
»Manche nennen sie auch Waldmenschen oder Elfenwesen«, erklärte der Colonel Kathryn, »weil sie so plötzlich auftauchen und wieder verschwinden. Aber ich denke, diese Männer hier sind Bauern.«
»Sie machen einen gutmütigen Eindruck«, befand Carl. »Schon Sir Hooker hat ihnen ein freundliches Wesen bescheinigt.«
Die Männer auf der anderen Seite des Flusses schlangen das Seil um einen Baumstamm und signalisierten ihnen, dass sie das Seilende zusätzlich festhalten würden. Die Träger auf ihrer Seite taten dasselbe.
Der Sirdar ging voran. Carl folgte langsam mit seinem Pferd. Auch die anderen Teilnehmer der Expedition überquerten im Schneckentempo den Abgrund. Sie nahmen entweder Zügel oder ihre Lasten in die eine Hand, und mit der anderen Hand hielten sie sich am
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