Die Rose von Darjeeling - Roman
tun und ihn einweihen! Er brächte es womöglich noch fertig und trampelte auf der zarten Knospe herum, dieser ungehobelte Bursche! Und außerdem: Was gingen Gustav seine Gefühle an?
Zwei Tage nach ihrer Ankunft im Dorf ging es Kathryn besser. Langsam erholte sie sich. Während Gustav und Carl mit einigen Männern ein zweites Mal auf die Jagd gingen, um auch ihre Vorräte aufzufrischen, spielte sie mit Tschukis Baby. Andere Kinder, die schon laufen konnten, gesellten sich dazu. Wenn Kathryn ihnen etwas gab, etwas Gerstenzucker oder eine Blume, nahmen sie es stets mit zusammengehaltenen Händen höflich entgegen. Sie teilten untereinander ohne Aufforderung von Erwachsenen und erwiderten jedes Geschenk, indem sie Kathryn ein Gegengeschenk brachten. So war es offenbar bei den Lepchas Sitte.
Umgeben von piepsenden Küken half Kathryn vor der Hütte beim Gemüseputzen und sah Tschuki zu, wie sie mit ihren schmalen, kleinen Händen ruhig und ausdauernd werkelte. Erstaunt sah Kathryn, dass sie Rhododendronblütenblätter in eine Marinade einlegte. Die junge Lepcha-Frau erzählte dabei von sich und dem Leben mit dem Stamm. Kathryn verstand, dass sie alle drei Jahre ihr Dorf verließen und an einer anderen Stelle im Urwald ein neues aufbauten. Und dass jedes Kind, bis es acht Jahre alt wurde, abends in den Armen eines erwachsenen Verwandten einschlief, egal ob bei Vater, Mutter, Großvater oder Tante. Und dass ihr Volk noch nie einen Krieg angefangen hatte. Tschuki war sehr stolz darauf.
Später bat Kathryn den Schamanen, ihm bei seiner Arbeit zusehen zu dürfen. Der Lepcha gestattete es ihr. Für den Sherpa mit dem Armbruch bereitete er wie am Tag ihrer Ankunft eine Arzneimischung aus Mistelblättern, Gewürzzwiebeln und einer speziellen himalayaischen Rinde zu.
»Die Zwiebel sorgt dafür, dass die Schwellung schneller zurückgeht«, erklärte er und strich die Paste auf einen Lappen, den er um den Bruch wickelte. »Du darfst kein Hirsebier trinken und kein Schweinefleisch essen«, schärfte der Schamane dem Träger ein, »nur Eier und Hühnerfleisch. Damit wird dein Bruch innerhalb von fünfundzwanzig Tagen vollständig heilen.«
Kathryn sah, wie der Schamane mit Gewöhnlichem Wasserdost, einer Pflanze, die auf feuchten Wiesen und an Ufern von Bächen gedieh, eine Blutung stoppte. Der Wald war seine Apotheke. Er zeigte Kathryn Rhododendronblätter, die er Chimul nannte, und behauptete, sie würden gegen Rheuma und bei Ischiasleiden helfen. Er mischte erneut einen Trank gegen Gustavs Allergie. Doch die Medizin allein mache es nicht, erklärte er Kathryn, auch das vorgezeichnete Schicksal eines Patienten und die Astrologie spielten eine Rolle. Wobei der Schamane offenbar in einigen Fällen wirkungsvoll für Unterstützung sorgen konnte. Für jeden Kranken erbat er Heilung von den Göttern. Er glaubte fest daran, dass gegen böse Geister gesungene Gebete halfen.
Endlich war es so weit. Die Kranken fühlten sich ausnahmslos besser, und der Schamane sagte, das Fest könne nun beginnen.
Als Kathryn aus ihrer Hütte kam, stand Carl davor. Beide Hände hatte er auf den Rücken gelegt.
»Du versteckst etwas vor mir! Was hast du da?«
Er lächelte. »Mach die Augen zu, und streck die Hände aus!«
Folgsam schloss sie die Augen. Spürte, wie er ihr etwas in die Hände legte.
»Jetzt kannst du die Augen wieder öffnen!«, sagte Carl.
Kathryn gehorchte und schaute hin. Es war ein zarter, geflochtener Kranz aus Bluebells, hellgrünem Farn und kleinen pinkfarbenen Rhododendronblüten.
»Oh, der ist ja zauberhaft!«
Vorsichtig nahm Carl den Kranz und setzte ihn auf ihren Kopf. Sie war überrascht und gerührt und wusste, dass sie errötete, und das machte sie noch verlegener. Er kam ihr mit seiner Wange ganz nah.
»Eine Krone für die Queen of Darjeeling!«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Seine Lippen berührten ihr Ohrläppchen, ihre Nackenhärchen sträubten sich vor Entzücken. Kathryn legte unwillkürlich den Kopf in den Nacken, öffnete ihre Lippen etwas, sah Carl in die Augen. Wie tief man da hineinfallen kann, dachte sie, tiefer und tiefer bis auf den reinen kristallklaren Grund, und dennoch schwebt man! Alles drehte sich, als er sie mit einem Arm um die Taille fasste und an sich drückte und den anderen Arm fest um ihre Schultern legte, sodass sie Brust an Brust atmeten. Sie zitterte, ihre Knie schmolzen wie Yakbutter in der Höhensonne, und wahrscheinlich wäre sie, hätte er sie nicht gehalten, zusammengesackt. Sein
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