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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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Weib sie entzweien. Sie wollten nicht gegeneinander kämpfen.
    Kathryn beruhigte diese Geste. »Und erinnert ihr euch an den Lama?«, fragte sie. »Er hat gesagt, man soll nicht bewerten, sondern das spüren und anerkennen, was wirklich ist. Können wir nicht danach leben? Wenigstens bis wir wieder in Darjeeling sind?«
    »Es wird nicht funktionieren«, sagte Gustav. »Ich möchte dich küssen und Carl eine reinhauen.«
    Carl lachte. »Wenigstens bist du ehrlich. Lasst uns schlafen gehen. Morgen wollen wir zum Gletscher.« Er hielt einen Moment inne, dann schloss er ernst: »Da sind wir auf Leben und Tod aufeinander angewiesen.«
    Der Zemu-Gletscher lag vor ihnen wie eine gigantische helltürkisfarbene gläserne Zunge. Auf halber Höhe des Kangchendzönga leckte sie sich in einer Länge von fast dreißig Kilometern u-förmig durchs Gebirge.
    »Das ist noch mal eine Steigerung!«, sagte Kathryn respektvoll. »Ich hab ja in der Schweiz schon Gletscher gesehen, aber der Zemu ist um ein Vielfaches beeindruckender.«
    Und über allem thronte der drittgrößte Berg der Welt!
    Gustav strich sich Eiskristalle aus seinem blonden Vollbart, die braunen Augen sprühten vor Begeisterung, als er über die ungeheuren Nordostabstürze zum Grat mit den fünf Gipfeln emporblickte. »Am liebsten würde ich mit einer Spitzentruppe von Bergsteigern aus dem Akademischen Alpenverein den höchsten Gipfel des Kangch erobern!«
    Carl grinste. »Ich würde den Riesen am liebsten umrunden. Wie mag wohl die Vegetation auf der gesperrten nepalesischen Seite im Westen aussehen?«
    Kathryn lächelte verschmitzt. Das war typisch für die beiden! Besser hätte man den Unterschied zwischen ihnen kaum charakterisieren können.
    Carl und Gustav erkannten den Schalk in ihren Augen, und ihnen huschte ein jungenhaftes Grinsen übers Gesicht. Sie war einfach süß, zum Verlieben! Beide dachten in diesem Augenblick dasselbe: Die letzte Entscheidung lag nicht bei ihnen, den Männern. Wenigstens hatten sie darüber gesprochen. Die Andeutungen, das Erahnen, Zaudern, Zweifeln und Zurückschrecken gehörten der Vergangenheit an.
    Robbins beobachtete erstaunt, wie vertraut und, ja, ein besseres Wort fiel ihm dafür nicht ein, wie liebevoll Carl, Gustav und Kathryn miteinander sprachen und sich gegenseitig halfen. Dann korrigierte er nach einer Weile seine Beobachtung vor sich selbst. Jeder der Männer verhielt sich liebevoll Kathryn gegenüber, was von ihr erwidert wurde. Untereinander gingen Carl und Gustav zwar kameradschaftlich miteinander um, fair, aber es schien Colonel Robbins, als sei da unterschwellig etwas Frostiges an die Stelle des alten lockeren Kumpeltons geraten.
    Sie zogen über steinige Moränen am Rande des Gletschers weiter wie winzige Käfer durch eine weite Geröll- und Eiswüste.
    »Das Gletschereis ist eigentlich gepresster uralter Schnee«, wusste Robbins, »kilometerdick.«
    Die Oberfläche war teils aufgeraut, wie von einem Riesen mit der Hacke bearbeitet, teils glatt und fest. In den Gletscher hinein hatten Schmelzwasser und Flüsse eigentümliche Höhlen gewaschen. Sie faszinierten mit Farbschattierungen von Türkis über Grün bis zu fast Schwarz in ihrem Innersten, Sonnenstrahlen zauberten funkelnde Reflexe hervor. Einige zusammengeschmolzene Schneefelder am Rande des Gletschers wiesen dramatische rost- bis blutrote Umrisse auf.
    »Ich finde, es sieht fast etwas unheimlich aus«, gestand Kathryn.
    Carl verstand, aber beruhigte sie. »Die Färbung ist harmlos, sie stammt von einer Flechtenart.«
    An einem gurgelnden und immer wieder türkisweiß aufschäumenden Fluss sahen sie einen Schneeleoparden. Die Sonne schien vor einem tiefblauen Himmel auf die schneebedeckten Gipfel. Wer eine hatte, setzte sich eine Sonnenbrille auf. Tschukis ältester Mann Sonam besaß ein beeindruckendes Exemplar mit einem feinen Gitter aus geflochtenem Yakschwanzhaar. Einige Kulis mit langen Haaren warfen sie sich wie einen Vorhang vor die Augen und befestigten sie unter ihren Tragegurten an der Stirn. Der Sirdar wies sie darauf hin, dass bei diesem Wetter mit Schneelawinen zu rechnen sei. Er mahnte zur Vorsicht und schlug einen kleinen Umweg vor, der sicherer sei.
    Die Yaks erwiesen sich als außerordentlich trittsicher und anspruchslos. Auch unter Schnee scharrten sie auf den Moränen noch erfolgreich nach Nahrung. Hier oben wuchs kein Baum, kein Strauch mehr. Nur noch Gras, Flechten, ab und zu sah man eine Gruppe Edelweiß und winzige, kriechende

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