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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sein.
    »Helft mit wegräumen! Ich muß ihn seh’n, ich muß ihn hab’n, und wenn ich den ganz’n Bruch umstürz’n soll!«
    Mit fast übermenschlicher Anstrengung wühlte er sich in das Gestein; die schweren Stücke flogen wie leichte Nußschalen zur Seite; der Schweiß rann ihm aus allen Poren, und von Schritt zu Schritt vorwärts rief er mit lauter Stimme den Namen des Vermißten.
    »Horch, Gustav,« rief einer der Knechte, »ich hab’ ‘was sprech’n hör’n!«
    Die drei Männer lauschten gespannt auf jedes, auch das geringste Geräusch. Endlich, nach längerem Horchen, vernahmen sie eine schwache menschliche Stimme; aber sie kam nicht aus der Tiefe, sondern von der Höhe herab.
    »Da drob’n ist wer, an der Fels’nwand. Es muß in der Höhl’ sein, dem Schalle nach. Aber dort kann doch kaan Mensch hineinkommen!«
    Wieder ließ sich der gedämpfte Ruf vernehmen. Es klang, als befände sich Jemand in der dringendsten Gefahr und habe doch nicht die Kraft, laut nach Hilfe zu schreien.
    »Kommt an der Seit’ hinauf! Dort können wir von oben hinabblick’n und am End’ seh’n, wer es ist!«
    Sie eilten durch die Schlucht zurück und stiegen in möglichster Geschwindigkeit an dem Rande des Bruches empor. Oben an der Stelle angekommen, welche der Höhlung gegenüber lag, sahen sie zwei menschliche Gestalten in derselben liegen, deren eine den Oberkörper so weit wie möglich hervorgeschoben hatte, um eine Gelegenheit zur Rettung zu erforschen.
    »Wer ist da drüb’n?« fragte Gustav mit lauter Stimme.
    »Ich bin’s!« antwortete es matt und kaum vernehmlich.
    »Wer denn?«
    »Der Heinemann!«
    »Und wer ist der Andere?«
    »Der Teuf – der Tannenbauer!«
    »Der Oheim ist mit dabei!« jubelte Gustav; schnell aber dämpfte er seine Freude und fragte hinüber: »Warum spricht der Tannenbauer net?«
    »Er ist todt!«
    »Todt?« zitterte es von den Lippen des Jünglings. Dann aber ballte er die Faust und warf sie drohend hinüber. »O, jetzt waaß ich All’s! Der Oheim ist nach der Kanzel gegang’n, um das Kraut zu such’n, und der Wies’nbauer hat ihn verfolgt und sich über ihn hergemacht. Da oben hab’n sie mit’nander gekämpft, und von der Last und dem Gestampf’ ist die Kanzel vollends losgebroch’n. Dabei hatt’n sie sich fest gepackt und sind net mit hinabgestürzt, sondern seitwärts hinüber nach der Höhl’ geschleudert word’n. Das ist das größte Wunder, was es geb’n kann! Aber was soll es helf’n? Den Oheim hat’s zerdrückt, und der Mordthäter ist dafür noch am Leb’n. Aber heraus müssen Beid’! Lauft nach dem Dorf’ und macht Lärm; man soll so viel Strick’ und Leitern mitbring’n, als man fass’n kann; auch aane Schnur ist vielleicht zu gebrauch’n, so lang, als möglich. Lauft; ich bleib’ alleweile hier, bis Ihr wiederkommt, und werd’ mich umschau’n, wie die Hilf’ am best’n geht!«
    Die Nachricht, welche die Knechte in das Dorf brachten, erregte ein ungeheueres Aufsehen. Wer sich von zu Hause losmachen konnte, der eilte nach dem Felsenbruche, und in kurzer Zeit hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge in dem Kessel und an den Seiten desselben versammelt. Jeder hatte irgend ein Werkzeug mitgebracht, von dem er glaubte, es hier gebrauchen zu können, und es wurden die verschiedensten und abenteuerlichsten Ansichten darüber laut, in welcher Weise die Verunglückten aus ihrer jetzigen Lage befreit werden könnten.
    »Ich hab’ mir die Sach’ gehörig angeschaut und gefund’n, daß mit Leitern doch net viel auszuricht’n ist,« meinte Gustav, auf einige Männer zeigend, welche beschäftigt waren, einige Exemplare der erwähnten Werkzeuge zusammen zu binden. »Man müßt’ sie mit dem Seil’ emporzieh’n, und dann treffen sie noch immer net richtig an.«
    »Was hast’ hier zu gebiet’n!« wies ihn der kleine Richter zurück. »Hier sind noch ganz andere Leut’, als Du, und die werd’n schon noch sag’n, was zu thun ist!«
    »Ja, das ist wahr! Und Du verstehst’s gewiß am allerbest’n; Du wartest, bis Du groß genug geworden bist, langst dann hinauf in die Höhl’ und nimmst den Oheim sammt dem Heinemann herunter. Aan ander’ Mal aber wartest’, bis ich mit Dir gesproch’n hab’, das merk’!«
    Er zog sich zurück.
    Den Oheim mußte er haben, gleichviel, ob derselbe todt oder lebendig war; jede verlorene Minute wurde ihm zur Ewigkeit, aber er sah ein, daß er hier nichts als zuwarten könne. Seine Ansicht erwies sich als die richtige;

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