Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Leitern waren bei der beträchtlichen Höhe, in welcher die Höhle lag, nicht anwendbar; auch ein von oben herabgelassenes Seil reichte nicht nahe genug an sie heran, da die Felsenwand grad’ über ihr um mehrere Fuß hervortrat; diese beiden Umstände versetzten die Versammlung in allgemeine Rathlosigkeit, und mit dem Zeichen des Beileides betrachtete man zwei Frauen, welche den bisherigen Bemühungen mit gespanntem Interesse gefolgt waren.
Katharina und ihre Mutter hatten sich eingefunden, und als jetzt keine Hilfe möglich schien, irrten die Augen der Ersteren angstvoll unter den Anwesenden umher, bis sie einige Gestalten entdeckten, welche abseits von den Anderen an dem Felsen lehnten.
»Komm, Mutter, dort ist der Gustav! Der waaß vielleicht noch Rath und That!«
Sie zog die Angeredete zu der kleinen Gruppe und reichte dem Genannten die Hand.
»Ist’s wirklich wahr, Gustav, daß es kaan Mittel giebt, den Vater herabzuhol’n?«
»Ich waaß noch ‘was, Kathrin’! Der Knecht hat schon die Schnur’ und auch die Seil’, und hier kommt grad’ der Bot’, den ich nach dem Hammer geschickt hab’ und nach dem Spitzeis’n. Paß’ auf, jetzt wird’s versucht!«
Ein Riß, zuweilen senkrecht aufsteigend, zuweilen wagrecht fortlaufend oder eine kurze Bogenlinie beschreibend, zog sich in der Steinwand vom Boden aufwärts und strich ganz nahe an der Oeffnung der Höhle vorüber. Auf ihn hatte Gustav sein Augenmerk gerichtet. Es war, allerdings unter vielen Gefahren, vielleicht möglich, die bald enge, bald sich erweiternde Spalte zum Erklimmen der Felsenmauer zu benutzen.
Nachdem er das Nöthige zu sich gesteckt hatte, begann er das schwierige, höchst wagehalsige Unternehmen. Sich nach Art der Schornsteinfeger mit Knie und Ellbogen emporschiebend, gelangte er langsam und stetig höher und höher; Hunderte von Augen verfolgten seine Bewegungen, und je weiter er aufrückte, desto stiller wurde es unter den athemlos spannenden Zuschauern. Jeder falsche Tritt oder Griff, die leiseste Unvorsichtigkeit oder das geringste Nachlassen seiner Kraft mußte ihn in die Tiefe stürzen; die Spalte war der Verwitterung mehr ausgesetzt, als die geschlossene Felsenmasse, das Gestein bröckelte bei jeder Berührung, und wenn es ihm auch gelang, die Höhle zu erreichen, so war doch vorauszusehen, daß er sie auf demselben Wege nicht wieder verlassen könne.
»So ‘was kann nur aan Haubold wag’n, der den Teufel hat!« bemerkte der Richter; er vermochte dem kühnen Jünglinge doch seine Anerkennung nicht zu versagen.
»Schweigt mit dem Teufel, Richter!« mahnte der Pfarrer, welcher in der Nähe stand. »Das ist nicht Satanswerk, sondern ein Muth und eine Hochherzigkeit gegen den Wiesenbauer, die Euere harten Herzen erweichen und Eueren Aberglauben besiegen sollten!«
Der Zurechtgewiesene gab keine Antwort; er fühlte die Wahrheit dieser Worte, obgleich sein Vorurtheil ihr widerstrebte. Ein lauter Jubelruf ließ ihn wieder zur Höhe blicken. Gustav hatte die Höhle erreicht, schwang sich hinein und blieb für eine geraume Zeit für die Umstehenden verschwunden.
Sein erster Blick fiel auf den Oheim, welcher wie todt am Boden lag. Ohne an die eigene Ermüdung zu denken, kniete er bei ihm nieder, um ihn zu untersuchen. Das Klopfen des Pulses war leise und langsam, aber deutlich zu vernehmen.
»Es ist noch Leb’n in ihm!« rief er freudig. »Der Fall hat ihn betäubt, und wenn im Innern nix zerrissen ist, so kommt er wohl wieder auf! Wie steht’s denn nun aber mit Dir, Heinemann? Ist’s noch immer wie gestern, als Du sagtest: ›Fahr zu, Teufelsbub’, ich mag Dich net in meiner Nähe leid’n!‹ oder ist Dir jetzt vielleicht mein Kommen recht?«
Der Gefragte gab keine Antwort; er sah schrecklich angegriffen aus und barg stöhnend das Gesicht unter beide Hände.
»Ich werd’ Dich mit dem Seil’ hinunterlass’n. Steh’ auf und zieh’ es mit herauf!«
»Ich kann net,« wimmerte er. »Mir ist das eine Bein entzwei!«
»Da wirst’ viel auszustehen hab’n, eh’ Du hinabgelangst. Aber nimm die Plag’ zu Herz’n, Wies’nbauer, und frag’ Dich, wer’s auf dem Gewiss’n hat, wenn der Oheim stirbt!«
Er zog Hammer und Spitzeisen aus der Tasche und trieb das Letztere so weit in das Gestein, daß der hervorstehende Theil einen festen und sicheren Anhalt bot; dann langte er eine aufgerollte Leine hervor und warf, während er das eine Ende derselben festhielt, dieselbe über den Rand der Höhlung hinab. Nun bog er
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