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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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langsam den Berg hinab. Sie trat durch das Thor und schritt zwischen den Gräbern hindurch einem kleinen, niedrigen Häuschen zu, welches sich gebrechlich an die hintere Kirchhofsmauer lehnte. An der Thür desselben vorübergehend, bog sie um die Ecke, räusperte sich und blieb dann horchend stehen.
    »Wer kommt?« fragte eine tiefe Stimme aus dem wirren Gesträuch heraus, welches den Winkel bogenförmig umschloß.
    »Ich bin’s!« erwiderte sie. »Ich bring’ die Speis’ für den Tag.«
    »Die Selma? Wart’, ich komm’ sogleich!«
    Die Zweige wurden raschelnd auseinander gebogen, und eine ungewöhnlich lange und dabei außerordentlich schmächtige Gestalt kam auf das Mädchen zu.
    »Bist ja heut’ beinah’ zur todten Nacht erst hier! Hast keine Furcht vor mir und vor den Todten?«
    »Warum vor Dir? Hast mir ja noch niemals ‘was zu Leid gethan! Und vor den Todten fürcht’ ich mich schon auch nicht; mein Gang ist ja ein nöthiger. Nur wer aus Uebermuth zum Gottesacker geht, darf denken, daß ein Geist hervorsteigen und ihm begegnen könnt’.«
    »Es steigt keiner heraus, Selma. Was der Tod einmal genommen hat, das giebt er nimmer wieder frei – ich hab’s erfahren!«
    Die letzten drei Worte erklangen langsam und hohl; sie kamen so schwer zwischen den Lippen hervor, als hänge das Gewicht eines ganzen vertrauerten und verlorenen Lebens an ihnen, und es dauerte längere Zeit, ehe er fortfuhr:
    »Ich hab’ auf Einen gewartet und geharrt viele, viele Jahr’; aber er hat nicht kommen können; der Hügel liegt zu hoch und fest auf ihm. Und Geister – – ja, was ist ein Geist? Wenn wir sterben, so begräbt man uns, und unser Leib verwest; über der Erd’ aber bleibt nur unsere That zurück und lebt in ihren Folgen fort, wenn längst kein Staub von uns mehr übrig ist. Kann diese Folg’ Gestalt annehmen und nachher als Geist erscheinen? – Gieb mir den Korb!«
    Er nahm ihn aus ihrer Hand und trat in das Haus. Nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder und gab ihn ihr geleert zurück. Sich dann zu ihr niederbeugend, legte er ihr die beiden kalten, dürren Hände auf das Haupt.
    »Der einzige Geist, der hier wandeln geht, der bin ich, Selma. Ich bin todt schon lange, lange Zeit; ich bekomm’ nur Dich und den Leichenhans zu sehen; sonst aber bin ich bereits abgeschieden, obgleich Du mich noch greifen kannst. Die aber, die sie damals begraben haben dort in die Eck’, die lebt noch unten im Dorfe, und Mancher hat’s erfahren, ganz ohne daß er es weiß. Ich bin in ihr gestorben; sie ist in mir leben geblieben, und die Lieb’ ist schuld an Beidem, an meinem Tode und an ihrem Weiterleben. Hast sie auch schon empfunden, die Lieb’, Selma?«
    Sie verstand die wunderbaren Worte nicht, welche wie unlösbare Räthsel hier an dem Orte erklangen, der das letzte und größte Räthsel des menschlichen Seins mit seinen Hügeln und Kreuzen deckte. Sie bebte unter der Berührung seiner Hände und konnte seine Frage nur mit einem tiefen, seufzenden Athemzuge beantworten.
    »Hast sie also auch schon kennen gelernt, und sie will Dir ihre freundliche Seit’ nicht zeigen? Halt’ aus Selma, halt’ aus! Du siehst der Bertha, Deiner Tant’, so ähnlich wie aus dem Aug’ geschnitten; darum hab’ ich Dich lieb, und darum sollst Du glücklich sein. Sie nennen mich den Klapperbein, weil ich todt bin für die Welt und weil der Gram mich bis aufs Geripp’ verzehrt und abgejammert hat; sie reden von mir wie von Einem, auf den Niemand mehr rechnen darf; aber der Klapperbein hat dennoch Trost und Hilf’ für Dich, wenn Du einmal eines mächtigen Beistandes von Nöthen bist. Geh’ jetzt, Selma! Ich will Dich bis an die Pfort’ begleiten.«
    Er schritt ihr bis zum Gitterthore voran. Sie folgte ihm mit leisen Schritten, als dürfe sie die Ruhe und Stille des Todes nicht verletzen, dem er nach seiner eigenen Versicherung anheimgefallen war. Eine ganze Reihe von Jahren her hatte sie ihm täglich zur Zeit der Dämmerung das Essen gebracht und dabei noch niemals ein Wort aus seinem Munde vernommen. War etwas zu erwähnen gewesen, so hatte er einen Zettel in den Korb gelegt. Heute war es zum ersten Male, daß er zu ihr sprach; sie kannte seine trübe, öde Vergangenheit; aber seine Rede vermochte sie nicht zu verstehen. Nur Eins fühlte sie: er war ihr freundlich gesinnt, und das gab ihr den Muth zu einer mädchenhaft neugierigen Frage:
    »Hast heut’ ein Grab machen lassen, und doch ist Niemand todt. Sag’, wer wird

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