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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war weit und groß dabei; sie hätte gern viel, viel mehr gegeben, wäre ihr von der Armuth nicht die bereitwillige Hand gebunden worden.
    Als sie den Berg wieder hernieder stieg, fand sie Selma zum Heimgehen bereit.
    »Willst auch hinunter? Ja, geh’, der Tag neigt sich zur Rüste, und da giebt’s noch gar viel zu thun in so einem großen Hauswesen, wie das Deinige ist. Schau da hinüber auf die Straß’! Ist das nicht der Ludewig, welcher aus der Stadt zurückkehrt? Meine alten Augen wollen ihn nicht mehr genau erkennen.«
    »Ja, er ist’s. Er hat uns auch gesehen und winkt mir, hinab zu kommen. Leb’ wohl, Gustel; komm’ gut nach Haus’!«
    »Leb’ wohl, Jungfer Selma, und lauf’ geschwind! Den Liebsten darf man nimmer warten lassen. Bin auch einmal ein flinkes Mädchen gewesen; der meinige, Gott hab’ ihn selig, wußt’ gar viel davon zu berichten.«

    Das Mädchen traf mit dem Geliebten zusammen, noch ehe er das Dorf erreicht hatte.
    »Ist Dein Vater zu Haus’?« fragte er.
    »Ja. Willst vielleicht zu ihm?«
    »Ja. Hat er heut’ von mir gesprochen?«
    »Nein. Warum?«
    »Hast ihn lieb, Selma, wirklich und wahrhaftig lieb, Deinen Vater?«
    Sie blickte, befremdet über diese Frage, zu ihm empor. Sein Gesicht sah erhitzt aus, und in seinem Auge lag es wie ein mächtiger, nur mühsam zurückgehaltener Grimm. Einen solchen Blick hatte sie bei dem sanften, ruhigen Freunde noch nie gesehen. Sie hatte sich im Gegentheile immer für willenskräftiger und entschlossener gehalten, als ihn.
    »Was ist mit Dir, was soll diese Frage bedeuten?«
    »Gieb Antwort, Selma, damit ich weiß, was ich zu Dir zu sagen hab’! Hast ihn lieb, so gern, wie man den Vater haben muß, so lieb, wie Dir die Mutter war?«
    Sie senkte das Auge und schwieg.
    »Sag’ es, Selma! Wer ist Dir lieber, er oder ich?«
    »Du!« antwortete sie leise und zögernd, als begehe sie mit diesem Geständnisse eine schwere Sünde.
    »Ja, so ist’s, ich weiß es! Er ist ein Tyrann im Dorf und ein Tyrann in seinem Haus, auch gegen Dich. Er hat Deine Kindeslieb’ ermordet und erschlagen, Du magst es nur nicht gestehen, Dir selbst nicht und Anderen erst recht nicht. Und weißt, was er noch ist, Selma?«
    »Was?« fragte sie bangend.
    »Ein Betrüger ist er und ein Fälschling, ein Schuft und Schurk’, so lang und groß er gewachsen ist, und ein Mörder und Dieb dazu, der dem Vater das Leben verkürzt und mir den Wechselbrief gestohlen hat, der mich verderben soll. Und so ein Spitzbub’ ist Obrigkeit im Ort, weil er das Erb-und Lehngericht besitzt!«
    »Um Gotteswillen, Ludewig, was ist geschehen, daß Du über ihn so ganz aus Rand und Band gerathen bist?«
    »Paß auf, was ich Dir sag’! Er wird es leugnen und verdreh’n, aber es ist dennoch und wahrhaftig so, wie ich’s erzähl’. Du weißt, ich sag’ gar niemals eine Lüg’.«
    Er berichtete ihr von dem gestrigen Abende in raschen, fliegenden Worten, erwähnte kurz, daß er jetzt bei dem Advocat gewesen sei und nun zum Richterbauer wolle, und eilte dann in weiten, schnellen Schritten von ihr fort. Sie vermochte nicht, ihn zu halten. Der Gedanke an den verhängnißvollen Wechsel nahm ihn so in Anspruch, daß er kaum Zeit zum gewohnten Gruße fand.
    Auf dem Hofe angekommen, erfuhr er, daß der Richter sich in seiner Schlafstube befinde. Er stieg die Treppe empor, obgleich er wußte, daß der Zutritt zu diesem Zimmer ohne alle Ausnahme Jedermann verboten sei. Ohne anzuklopfen, öffnete er die Thür. Der Bauer saß vor einem kleinen Schränkchen, welches auf dem Tische stand. Es war aus der Wand gezogen; ein kurzer, unwillkürlicher Blick belehrte Ludwig, daß er ganz zufällig ein Geheimniß entdeckt habe. Das mit Holz bekleidete, viereckige Loch in der Mauer war bedeutend tiefer als der Schrank. Es lagen allerhand Papiere darin, die jedenfalls gut aufgehoben waren, wenn das Kästchen eingeschoben wurde.
    »Was soll’s? Was willst? Wie kannst in diese Stub’ herbeikommen?« fragte, sich erhebend, der Bauer.
    »Hab’ keine Zeit, zu warten, bis Ihr hinunter kommt, Richterbauer. Ich wollt’ mich nur erkundigen von wegen dem Wechselbrief, den Ihr gestern aus Verseh’n mitgenommen habt, anstatt ihn bei uns hinzulegen!«
    »Versehen? Meinen Wechselbrief hinlegen? Du bist wohl gar nicht recht bei Trost, daß Du meinst, ich soll Euch das Papier zurücklassen! Da wär’ doch ganz mein schönes Geld verloren, welches ich aus lauter Güt’ und Freundschaftlichkeit Deinem Vater vorgeschossen

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