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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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seine eigene Schwester war.«
    »Hast sie gekannt, Gustel?«
    »Ob ich sie gekannt hab’? Sie war ja meine Path’ und ist mit dem Klapperbein manch’ schönen Abend in meiner Stub’ gewesen. Sie sollten einander nicht haben, weil er der einzige Sohn des Richters und sie des Todtengräbers Tochter war. Ach, Selma, was war doch die Bertha für ein herzlieber Engel, so schön und so gut! Sie hat von Kirchhofsblumen so herrliche Sträuß’ und Kränz’ gemacht und in der Stadt verkauft; auch genäht und gearbeitet hat sie für die feinen Leut’ und sich ein hübsches Geld verdient. Das hat sie aber nicht für sich behalten können, denn dazu ist sie zu mild und barmherzig gewesen; sie hat es lieber hingegeben bei den Armen und Kranken und ist deshalb von Allen hochgehalten worden, als nur von Zweien nicht: dem damaligen Richterbauer, dem Klapperbein seinem Vater, und von ihrem eigenen Vater.«
    »Von meinem Großvater?«
    »Ja, und auch Dein Vater hat sie nicht recht leiden mögen, weil sie so fromm und sanft gewesen ist und er so wild und toll. Er hat die Grenzler stets auf dem Nacken gehabt, aber Keiner konnt’ ihm etwas nachweisen. Die Niederlag’ der Schmuggler war damals da oben im Zechenhaus, und da hat er auch die Bertha gefunden, als sie sich vor Leid und Unglück hinunter in den Schacht geschmettert hatte. Hat er Dir nichts davon erzählt?«
    »Nein. Man darf bei ihm gar nicht davon beginnen; er kann den Gedanken daran nicht ertragen.«
    »Das glaub’ ich schon; sie war ja seine Schwester. Aber er trägt doch auch die Schuld an ihrem Tod mit. Der Richterbauer ist mit dem Todtengräber zusammengerathen und hat ihn über alle Maßen darangenommen; darüber ist dieser aufgebracht worden und hat mit dem Sohne der Tochter so lange zugesetzt, bis sie mit der Drohung davon gelaufen ist, wenn sie daheim keine Ruh’ mehr hab’, so werd’ sie tief unten im Schacht welche finden. Am anderen Morgen hat Dein Vater sie dort gefunden und heraufgezogen. Als Selbstmörderin ist sie in die ungeweihte Eck’ hinter dem Gottesackerhaus eingescharrt worden. Der Richterbauer ist gestorben, und sein Anton hat das Gut und auch das Amt geerbt, Beides aber bald Deinem Großvater übergeben und sich nach dem Kirchhof gemacht. Die Bertha ist ihm so lieb gewesen, daß er selbst von ihrer Leich’ hat nimmer lassen können. Nun erhält er von euch das Brod und sitzt fast Tag und Nacht auf ihrem Grab, wo er ächzt und stöhnt oder singt und betet und ganz zum Geripp’ vermagert und verarmseligt ist. Er ist der Aermst’, der Allerärmst’ im Dorf; er hat keine Wäsch’, kein Geld, keine Kleidung, keine Freud’ und Lust und auch kein Leben – er ist todt, obgleich er lebt. Das Kleid, welches er trug als sie die Bertha fanden, das trägt er noch, und die Lieb’, die damals in seinem Herzen war, die ist heut’ noch drin und wird erst dann aufhören, wenn er ins Grab gelegt wird, das er sich selbst neben der Bertha bereitet hat. So, das ist die Geschicht’! Nun leb’ wohl, Jungfer Selma! Ich muß hoch empor, und meine kranken Füß’ geh’n nur sehr langsam den Berg hinauf.«
    Es war wirklich ein sehr anstrengendes Unternehmen von der alten, gebrechlichen Frau, mit Hilfe der Krücken die Haldenspitze zu erreichen. Dort stand an der Stelle, wo man Bertha’s Leiche niedergelegt hatte, ein hohes, hölzernes Kreuz mit der aus Holz geschnittenen Gestalt des Heilands daran. Zu Füßen des Erlösers war eine Laterne und unter ihr ein kleines Kästchen befestigt, welches bestimmt war, die an das »Herrgottle« gerichteten Bittschriften aufzunehmen. Es war nur Nachts um Zwölf geöffnet. Wer einen Brief zu bringen hatte, mußte ihn um diese Zeit einlegen und dann das in der Laterne befindliche Licht anbrennen. Es leuchtete dann bis tief ins Thal hinab, den unten noch vorhandenen Leuten zum Zeichen, daß ein Hilfsbedürftiger die »Herrgottspost« benutze, um beim Herrgottsengel Rettung zu suchen, da ihn die Menschen verlassen hatten.
    Sie kniete vor dem Kreuze nieder, um lange und inbrünstig zu beten. Die Botengustel war wegen ihrer Redfertigkeit bekannt und zuweilen sogar gefürchtet; aber ein treues, unverfälschtes Gemüth, das hatte sie, und den lieben Gott, den hielt sie hoch in Ehren. Dann erhob sie sich, öffnete die Laterne und legte die beiden Lichter und das Papier hinein; das Tintenfläschchen stellte sie auf den verschlossenen Briefkasten. Es war eine geringe, unscheinbare Opfergabe, welche sie brachte, aber ihr Herz

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