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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und zögernd klang es:
    »Ich kann – kann – kann nichts mehr sehen, – nichts, gar nichts mehr.«
    »Mein Kind, mein armes, armes, theures Kind!«
    Es war ein Schrei, wie ihn nur eine Mutter ausstoßen kann, ein Schrei aus der tiefsten Tiefe einer angsterfüllten, entsetzten Seele, und dann war’s ruhig. Die beiden Frauen hielten sich umschlungen; keine sprach ein Wort, jede suchte ihre Gefühle zu bemeistern, und doch schlugen die Busen gegen einander und verriethen den Sturm, welcher die Wogen ihrer Empfindung aufregte. Lange, lange saßen sie so, bis endlich die Mutter zuerst das Wort ergriff.
    »Seit heute wohl erst?«
    »Ja. Als ich früh aufstand, war es dunkel um mich, und doch wußte ich Dich bei der Arbeit.«
    »Und ist’s wirklich so, kannst Du gar, gar nichts mehr sehen? Hast Du nicht wenigstens noch einen Schein?«
    »Nein. Von dem Tage an, wo mich der Junker so sehr erschreckte, ist’s so sehr schlimm geworden; die Hitze hat immer zugenommen, und jetzt, da mir das Auge wieder kühl ist, wird mir der letzte Rest von Hoffnung genommen, den ich noch gehegt habe.«
    »Und das ist der Grund, wegen dessen Dir so weh ist?«
    »Ja, aber noch etwas.«
    »Sage auch das, meine Gustel.«
    »Ich kann nicht.«
    »Warum nicht.«
    »Weil ich es selbst nicht weiß.«
    Wieder erfolgte eine Pause; die erfahrene Mutter konnte unmöglich über die letzte Antwort der Tochter lächeln. Sie wußte ja, daß es in einem reinen, unberührten Mädchenherzen Regungen giebt, welche nicht eher in die Erkenntniß treten, bis sie von Außen her in Tangention versetzt werden.
    »Aber Du fühlst diesen Grund?« fragte sie endlich.
    »Ja.«
    Schon wollte sie weiter forschen, da kam ihr die Tochter entgegen.
    »Hast Du ihn vorhin singen hören?«
    Fast erschreckt fuhr die Gefragte zurück. An das hatte sie wohl nicht gedacht, nun aber wußte sie auch, daß die Erblindung ihres Kindes ein doppeltes Unglück für dasselbe sei. Liebkosend zog sie es an sich, und die tiefste Bewegung klang aus jedem ihrer Worte, als sie das einzige Mittel ergriff, das Mädchen vor einem Leide zu bewahren, über welches sich doch nicht sprechen ließ, ohne das flecken-und ahnungslose Gemüth desselben zu verletzen.
    »Du weißt vielleicht noch nicht, daß man das eigne Leid über fremdem Weh vergessen kann. Deshalb laß uns einmal zurückblicken in meine Vergangenheit, damit Dein geistiger Blick geschärft werde für das, was das leibliche Auge nicht zu erreichen vermag. Bis jetzt sind Dir nur einige Züge aus dem Bilde meines Jugendlebens bekannt; ich will diese Umrisse vervollständigen und Dir Deine Aufrichtigkeit mit der meinigen vergelten. –
    Meine Eltern hast Du nicht gekannt, sie sind mir schon früh entrissen worden, und ich habe außer Dir und Deinem Vater nie ein Wesen gekannt, dem ich mich mit mehr als gewöhnlicher Zuneigung angeschlossen hätte. Der Vater war Beamter in Leipzig gewesen, und ich kam nach seinem Tode zu entfernten Verwandten von ihm, die mich aber nur aufnahmen, um an Lohn für Dienstpersonal sparen zu können. Sie hatten immer einige Studenten in Pension, deren Aufwartung mir übertragen wurde. Aus diesem Grunde kam ich oft mit ihnen in Berührung, die aber trotz der bekannten Zudringlichkeit der Meisten dieser Leute eine rein dienstliche blieb, bis ich Deinen Vater kennen lernte.
    Er hieß Emil Wallner, war der Sohn armer, auch schon verstorbener Eltern und besaß in ihrer kleinen, unbedeutenden Hinterlassenschaft die allerdings kaum zureichenden Mittel, Medicin zu studiren und sich so eine zufriedenstellende Existenz zu gründen. Er war ein stiller, bescheidener, fleißiger und deshalb kenntnißreicher, junger Mann, zu dem ich mich bald mit innigstem Vertrauen hingezogen fühlte, welches sich unter dem Einflusse seiner männlichen Schönheit bald in die herzlichste Liebe verwandelte, die er mir ebenso warm und innig erwiderte. Wir wußten Beide, daß wir das Glück unsrer Zukunft nur von unsrer eigenen Arbeit und Tüchtigkeit zu erwarten hatten, und so strebten wir unter vereinter Anstrengung vorwärts und versagten uns jeden Genuß, der unsre geringen Mittel bedrohen oder gar schmälern konnte. Aber trotz, ja vielleicht grad wegen dieses rastlosen Schaffens war jene Zeit eine schöne, ach eine so sehr schöne, daß die Erinnerung an sie sich wie ein goldenes, verklärendes Abendroth noch heut über all mein Denken, Fühlen und Wollen verbreitet.
    Leider kam der Augenblick nur zu bald, der uns bittere Trennung brachte,

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