Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
einem funkelnagelneuen Anzuge herunter gekommen.«
    Er rückte die Brille zurecht und verlas das Evangelium. Dann schlug er ein altes, vielgebrauchtes, in Schweinsleder gebundenes Gebetbuch auf, aus welchem er ein »Abendgebet für den Sonntag« buchstabirte und wollte eben nach dem »Amen« das Buch wieder schließen, als die Thür geräuschlos geöffnet wurde und der Geselle eintrat. Nach einem kurzen »Guten Abend« setzte sich derselbe an den Tisch, nahm dem Meister das Buch aus der Hand, blätterte einige Zeit suchend darin herum und begann dann mit fesselndem Ausdrucke:
     
    »Horch, klopfte es nicht an die Pforte?
    Wer naht, von Himmelsduft umrauscht?
    Woher des Trostes süße Worte,
    Auf die mein Herz voll Andacht lauscht?
    Wer neigt, wenn alle Sterne sanken,
    Mit mildem Licht und stiller Huld
    Sich zu dem Staub-und Erdenkranken?
    Es ist der Engel der Geduld!
     
    O, laß den Gram nicht mächtig werden,
    Du tiefbetrübtes Menschenkind!
    Wiß, daß die Leiden dieser Erden
    Des Himmels beste Gaben sind,
    Und daß, wenn Sorgen Dich umwogen
    Und Dich umhüllt des Zweifels Nacht,
    Dort an dem glanzumfloss’nen Bogen
    Ein treues Vaterauge wacht!
     
    O, laß Dir nicht zu Herzen steigen
    Die langverhalt’ne Thränenfluth!
    Wiß, daß grad in den schmerzensreichen
    Geschicken tiefe Weisheit ruht,
    Und daß, wenn sonst Dir nichts verbliebe,
    Die Hoffnung doch Dir immer lacht,
    Da über Dich in ew’ger Liebe
    Ein treues Vaterauge wacht!
     
    O, wolle nie Dich einsam fühlen,
    Obgleich kein Aug’ sie wandeln sah.
    Die sorgenvolle Stirn zu kühlen
    Sind Himmelsboten immer da.
    Wer stets dem eig’nen Herzen glaubte,
    Der kennt des Pulses heil’ge Macht.
    Drum wiß, daß über Deinem Haupte
    Ein treues Vaterauge wacht!
     
    Und öffnet sich Dein Auge wieder
    Dem hellen, goldnen Sonnenstrahl,
    Steigt Dir des Lichtes Seraph nieder,
    Den Du ersehnt viel tausend Mal.
    O, wolle stets den Glauben hegen,
    Der Deiner Seele Trost gebracht,
    Daß über allen Deinen Wegen
    Ein treues Vaterauge wacht!«
     
    Als er geendet hatte, schlug er das Buch wieder zu und verließ mit einem wie vorhin kurzen »Gute Nacht« die Stube.
    Es war, als sei das Gedicht grad für die Seelenstimmung der Anwesenden geschrieben, und Niemand konnte den tiefen Eindruck, welchen die unerwartete Vorlesung gemacht hatte, verbergen. Der Meister war der Erste, welcher sprach.
    »Nein aber, kann der Goldschmidt lesen; wer hätte ihm auch das noch zugetraut! Es ist wirklich schade um den Menschen, daß er sich Nächte lang draußen herumtreibt. Aber ich kenne doch das ganze Buch auswendig und habe das Gedicht noch nie gefunden. Ich muß nur einmal das Blatt aufschlagen, auf welchem es steht, es war grad bei dem rothen Einzeichen, welches ich gestern hineingelegt habe.«
    Er blätterte, aber vergebens.
    »Ich glaube gar, er hat das Gedicht auch gleich so aus den Kopfe gemacht, wie er die Lieder alle macht, die er draußen im Garten singt, denn ich finde das Dings im ganzen Buche nicht. Es ist wirklich schade, jammerschade um den Kerl!«
    Er stand auf, und das war bei ihm das Zeichen, daß er zur Ruhe zu gehen wünsche. Deshalb erhoben sich auch die Andern. Draußen vor der Treppe blieb Auguste stehen.
    »Darf ich noch einen Augenblick in den Garten, Mutter?«
    »Es ist kühl, Kind, und Du wirst vielleicht auch den Weg nicht sicher finden.«
    »O doch, und erkälten werde ich mich auch nicht. Es ist ja nur für einen Augenblick und ich komme gleich nach.«
    Da ging die Mutter nach oben; sie gönnte ihr so gern die Gelegenheit, draußen in der Stille des Abends innerlich ruhig und klar zu werden.
    Auguste kannte jeden Zollbreit des Weges und fand also trotz der Nacht ihres Auges die Bank. Tastend fuhr sie mit der Hand über dieselbe hin, aber der erwartete Strauß lag heut nicht da. Nur seinetwegen war sie gekommen und wollte nun enttäuscht wieder zurückgehen, da hörte sie die Hofthüre knarren und den Schritt eines Nahenden. Es war Goldschmidt, sie kannte ja diesen leichten, elastischen und doch so sichern Schritt. Es war ihr, als müsse sie sich verbergen, und unwillkürlich wandte sie sich zur Seite, da aber fühlte sie sich auch schon bei der Hand erfaßt.
    »Bitte, bitte, Auguste, nicht Angst haben!«
    Er führte sie zur Bank zurück und nahm neben ihr Platz. Es war ihr so bang, aber diese Bangigkeit war nicht von der Art, wie man sie einem gefürchteten Ereignisse gegenüber empfindet.
    »Ich möchte gern zwei Fragen aussprechen. Darf ich?«
    »Ja«,

Weitere Kostenlose Bücher