Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
wurden nach der Nummerfolge in Reih’ und Glied gestellt und in derselben Ordnung expedirt. Als er aufgerufen und eingetreten war, fand er den Dirigenten in Unheil verkündender Stimmung. Das Verhalten seines Vordermannes trug die Schuld an ihr.
    »Du bist Nummer Hundertneunzig?«
    »Leider, Herr Director.«
    »Leider! Was soll das heißen?«
    »Das soll die Klag’ bedeuten, daß ich mich in diesem Haus befind’ und meinen ehrlichen Namen so ganz verloren hab’, daß ich nur noch eine Ziffer bin!«
    »Daran ist Niemand schuld, als Du allein! Wer seine Freiheit mißbraucht und seine Menschenwürde mit Füßen tritt, der wird eingesperrt und gilt als Strafvollzugsobject, das man zur besseren Uebersicht mit einer Zahl bezeichne. Hast Du das verstanden?«
    »Ich bin nicht gelehrt genug, das zu begreifen, Herr Director; mein Kopf reicht nur so weit aus, zu wissen, daß ich unschuldig bin an Dem, was man mir thut. Ich habe –«
    »Nichts hast Du, gar nichts, als zu schweigen! Ich möchte nur einmal wissen, wie viel Unschuldige ich hier im Hause habe! Hältst Du denn Deine Vorgesetzten wirklich für so albern, einer solchen Versicherung Glauben zu schenken? Wer sein Vergehen bekennt und bereut, erweckt Vertrauen und kann noch einmal ein ehrlicher Mensch werden. Wer aber fortgesetzt leugnet, bleibt verloren und verdient die strengste Behandlung. Sie soll Dir werden! Du bist angezeigt, dem Posten ungehorsam gewesen zu sein. Warum hast Du nicht geschlafen?«
    »Es fiel ein Schuß –«
    »Der Dich aufgeweckt hat, und weil es Euch immer zu wohl ist, bist Du trotzt des mehrmaligen Verbotes die ganze Nacht spaziren gegangen. Ich werde Dir acht Tage Kostentziehung notiren!«
    »Ich werd’ diese Strafe ruhig tragen, wie ich auch das Andere auf mich genommen hab’. Aber verdient ist sie nicht!«
    »Was?!« brauste der Director auf. »Willst Du etwa behaupten, daß ich Dich ungerecht behandle? Dann werde ich aus der Acht eine Vierzehn machen!«
    »So hab’ ich’s nicht gemeint! Ich denk’ nur, wenn der Herr Direktor wüßt’, warum ich nicht hab’ ruhen können, so hätt’ ich die Kostentziehung nicht bekommen, eben grad’, weil ich ihn für gerecht und billig halt’! Als der Schuß gefallen ist, hat eine Kinderstimme gejammert und laut ›Vater!‹ gerufen. Das ist grad’ wie der Ton von meinem Paul gewesen; es hat mich aufgeschreckt und in der Zell’ herumgetrieben, als ob er todtgeschossen wär’. Ich weiß, er ist’s nicht gewesen; denn wie sollt’ er von daheim her in den Graben kommen? Aber ich hab’ mir nicht helfen können und die Stimm’ vor dem Ohr gehabt bis jetzt zu diesem Augenblick.«
    »Paul heißt Dein Sohn?« Er nahm erst jetzt das vorliegende Actenheft zur Hand, um nach dem Namen der Nummer Hundertneunzig zu sehen. »Du heißt Fährmann und bist aus Oberdorf? So! Bestraft bist Du wohl noch nicht wegen eines Vergehens gegen die Hausordnung?«
    »Nein, Herr Director. Ich will mir meine Lag’ nicht selber schwerer machen!«
    »Daran thust Du klug!« Seine Stimme hatte einen milderen, fast theilnehmenden Klang angenommen. »Und ebenso klug würde es sein, Dich nicht von einer Täuschung übermannen zu lassen. Ich will die Kostentziehung für diesmal wieder streichen; sieh’ aber zu, daß Du nicht wieder angezeigt wirst, und geh’ jetzt an Deine Arbeit!«
    Er wurde abgeführt und durch eine Nebenpforte in den Graben gebracht, wo mehrere Genossen mit Arbeit an den Küchenpflanzen beschäftigt waren. Sie wurden von einem Militairpiquet bewacht, da die Zahl der Aufseher nicht zur Beaufsichtigung so kleiner Abtheilungen ausreichte.
    Er trat mit ein und nahm die Hacke zur Hand. Aber bei allem Fleiße vermochte er nicht den Ruf loszuwerden, der ihm in die Ohren gellte, als sei der Schuß jetzt eben erst geschehen. Er befand sich wie im Fieber und hätte am liebsten fliehen und nach Hause gehen mögen, um sich zu überzeugen, daß seinem Kinde nichts geschehen sei.
    Da wurde das Hauptthor geöffnet, und ein leichter Federwagen fuhr aus demselben hervor. Oben am Graben gingen Leute vorüber, die beim Anblicke des Wagens stehen blieben. Man konnte deutlich jedes Wort vernehmen, welches gesprochen wurde.
    »Jetzt bringen sie das arme Kind,« meinte Einer. »Es muß den Vater drin in der Anstalt haben!«
    »Konnte denn der Posten nicht merken, daß es nur ein Knabe war?«
    »Es ist finster gewesen; da kann man nicht genau unterscheiden. Er hat natürlich keinen geringen Schreck gehabt, kann aber nichts

Weitere Kostenlose Bücher