Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
dafür, da er schießen mußte. Die Kunde von dem Unglücke war schon am frühen Morgen in der ganzen Stadt herum.«
    Fährmann horchte auf. Also hatte er sich doch nicht getäuscht: ein Knabe war’s gewesen! Doch wem gehörte er?
    Der Wagen schlug die Richtung nach der Straße ein, die nach Oberdorf führte. Es war Niemand zu sehen als der Kutscher und ein Aufseher, welcher auf dem Hintersitze Platz genommen hatte. Vor ihm lag ein Bett, und an der Seitenwand ragte der Lauf eines Gewehres empor. War es Wirklichkeit, oder täuschte ihn bloß seine aufgeregte Phantasie? Er glaubte, keine militairische Waffe, sondern die Flinte zu erkennen, welche er seinem Knaben geschenkt hatte. Es wurde ihm wirbelig vor den Augen, und er mußte das Piquet bitten, sich einen Augenblick niedersetzen zu dürfen.
    Wie gern hätte er eine Frage ausgesprochen; doch es war bei Strafe verboten, über andere als Dienst-und Arbeitsangelegenheiten mit dem Soldaten zu reden. Diesem war der Gefangene nur ein Verbrecher, der die Strenge des Gesetzes zu empfinden hat; er fühlte sich daher nicht zur Theilnahme aufgelegt und forderte ihn baldigst auf, wieder an seine Arbeit zu gehen.
    Als die Glocke das Zeichen zur Mittagsmahlzeit gab, wurde die Pforte geöffnet, und das Piquet lieferte die ihm Anvertrauten im Innern der Anstalt ab.
    »Was hast Du für Strafe erhalten?« begrüßte der Aufseher seinen Gefangenen. Er erhielt die dienstliche Benachrichtigung gewöhnlich erst am Nachmittage zugeschickt.
    »Keine.«
    »Wirklich keine? Da hast Du von einem Glücke zu reden!«
    »Ich sollte Kostentziehung bekommen; aber der Herr Director hat sie wieder gestrichen, weil ich bisher noch keine Straf’ erhalten hab’ und weil – Herr Aufseher, wer ist heut’ Nacht geschossen worden?«
    »Da fragst Du mich zu viel; ich kann Dir keine Antwort geben.«
    »Nicht? Aber wenn ich Sie nun recht sehr dringlich bitt’?«
    »Auch dann nicht!«
    »Dürfen Sie bloß mir nicht antworten?«
    »Nicht Dir allein, sondern jedem Gefangenen. Der Sicherheitsdienst ist ein verschwiegener, das mußt Du auch wissen, und darum wundere ich mich, daß Du überhaupt fragst.«
    »So sagen Sie mir wenigstens, ob mich der Schuß wohl auch betroffen hat!«
    »Dich? Wie kann er das? Er ist doch nicht auf Dich gerichtet worden. Geh’ jetzt in Deine Zelle und iß, das wird Dir nöthig sein; Du siehst ganz armselig aus!«
    »Essen? Ich kann nicht; ich hab’ an eine andere Sach’ zu denken!«
    Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, zog er den Strohsack herbei und warf sich auf das Lager, ohne den Napf, in welchem sich sein Mahl befand, nur anzusehen. Er war müde, so müde und zerschlagen, wie er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte, und doch zuckten seine Glieder unter einer Aufregung, die ihn wieder emporriß und in dem engen Raume umhertrieb.
    »Herr Gott im Himmel, laß mich’s doch erfahren, wer’s gewesen ist! Todt ist er geschossen, denn wenn er verwundet wär’, so könnten sie ihn nicht forttransportiren. Es war seine Stimm’ und auch ganz genau die Kinderflint, die ich ihm damals gegeben hab’. Wer weiß wie’s ihm daheim ergeht, und da ist er weggegangen, um mich aufzufinden; er hat mich ja im Graben gesehen, als er an jenem Tag mit der Mutter vorüberging. Wenn er’s gewesen ist, so weiß ich wahrhaftig nicht, was ich thu’. Hier halt’ ich’s dann nimmer aus; ich muß ihn sehen, ehe sie ihn begraben, und nehme die Flucht, wo mich keine Mauer hält, kein Gitter, kein Graben und kein Piquet.«
    Als er in den Hof kam, wo sich die Genossen versammelten, um wieder an den Ort ihrer Beschäftigung geführt zu werden, erkundigte er sich bei ihnen, ob sie vielleicht etwas Genaues über das nächtliche Vorkommniß erfahren hätten. Die Frage mußte heimlich ausgesprochen werden; sie erhielt keine befriedigende Antwort, denn die Direction hatte sich befleißigt, die Kunde von dem Sachverhalte nicht unter die Detinirten dringen zu lassen.
    Der Mann, welchem als Piquet die Beaufsichtigung der Arbeiter für den Nachmittag anvertraut war, nahm sie von dem Aufseher in Empfang, ließ sie zu Paaren antreten, öffnete die Pforte und commandirte:
    »Marsch, vorwärts!«
    Er selbst ging mit geladenem Gewehre hinter ihnen her und gebot, als sie zur Stelle waren, ein gebieterisches »Halt!«
    Er hatte sie vorgezählt erhalten, mußte sie zu gleicher Zahl wieder abliefern und beobachtete darum die Bewegung eines jeden Einzelnen mit aufmerksamem Blicke. Am

Weitere Kostenlose Bücher