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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bat Dich, zu kommen, und dennoch gabst’ zur Antwort: ›Ich weiß noch net!‹ Fürcht’st Dich vor mir, Martha?«
    Jetzt zuckte ein rasches Lächeln um ihren Mund, zwischen dessen Lippen die kleinen Zähne hervorblitzten, und ihr Blick traf den seinen mit voller Aufrichtigkeit.
    »Ja, beinah’ ganz sehr.«
    »Warum?«
    »Du bist der Mächtigst’ weit und breit und dazu hast’ so viel Gelehrsamkeit studirt. Soll man sich da net vor Dir fürcht’n?«
    »Wenn das nix Anders bringt als Furcht und Scheu, so wollt’ ich, daß ich net so mächtig wär’ und ungeschickt dazu. Soll das so sein, Martha?«
    »O nein, Frieder! Bleib, wie Du bist!«
    »Aber dann wirst’ Dich auch ferner fürcht’n?«
    »Ich werd’ mir die Angst abgewöhnen. Ich hab’ mir den Mann, der den Vater geschlag’n hat, ganz anders vorgestellt, recht wüst, rauh und hart, net so sanft und freundlich, wie Du bist. Sag den Eltern, daß ich kommen werd’!«
    »Hab’ Dank! Nun geh ich gern, denn ich weiß, daß ich Dich wiederseh’.«
    »Nein, laß mich gehn und bleib! Du kamst zum Bruder, der hier unten liegt; das ist ein fromm’ und heilig Recht, das ich Dir net verkürz’n darf!«
    Sie reichte ihm die Hand und ging. Er bog die Zweige, welche sich hinter ihr geschlossen hatten, wieder auseinander und blickte ihr heimlich nach. An der Ecke der Kirche wandte sie sich einmal um, willenlos und ohne Absicht, wie man von einem innern Impuls getrieben wird, der sich gegen jede Aufsicht sträubt. Er bemerkte es und sah mit einem stillen, innigen Lächeln vor sich nieder.
    »Das ist also die Martha, von der die Eltern so viel Lieb’s und Gut’s erzähl’n! Ich hab’ das All’s gern geglaubt, doch nun ich sie geseh’n und gesproch’n hab’, weiß ich, daß sie noch mehr und noch viel besser ist. So weit ich auch gewes’n bin, eine solche Schönheit mit solcher Herzenseig’nschaft gepaart, hab’ ich net gesehn, und hier auf dem abgeschied’n Dorf hätt’ ich’s gar nimmermehr gesucht!«
    Noch immer stand er und schaute nach der Ecke, hinter welcher sie verschwunden war.
    »Und welch’ einen Vater hat dies englische Gemüth! Wär ich ihr vorher begegnet, so hätt’ er keine solche Lehr’ erhalt’n, die gleich auf ein-für allemal berechnet war. Freilich etwas zu stark bin ich dabei gekommen, das mag sein, aber der Grimm über den Waldkönig war da, und den Vater, der so viel erduldet hat, laß ich net verhöhnen und net schlag’n. Wer das beginnt, darf net auf Nachsicht rechnen. Ja, sie hat Recht, ich bin sanft und freundlich, aber es gibt einen Punkt in mir, den man net anstoß’n darf, das ist die Lieb’ zu Vater und Mutter und all den andern Meinen. Daher ist dem Waldkönig die größte Rach’ geschwor’n, denn er hat den Punkt am Stärk’sten angefaßt. Ich weiß, daß ich ihn find’, ich weiß, daß ich ihn ergreif’, die Ahnung sagt es mir. Der Vater hat es falsch gemacht, denn er hat alle Welt wiss’n lass’n, daß er nach ihm jagt. Von mir aber soll’s Niemand erfahr’n, was ich thu, selbst die Eltern net, denn sie würd’n große Sorg’ und Angst um mich empfind’n, daß es mir so geht wie dem Franz, der nun hier unter dem Hügel liegt. Aber er ist net todt, er ist net gestorb’n, sondern er lebt noch; er ist wieder erwacht in mir und wird den Mordblender zur Vergeltung bringen!«
    Er brach einen kleinen Zweig von dem Lebensbaum, der auf dem Grabe stand, und steckte ihn an den Hut.
    »Das ist die Kokard’, der ich dien’; sie kommt net eher von ihrem Platz herunter, als bis meine Aufgab’ erfüllt ist!«
    Er verließ den Kirchhof und ging nach Hause, wo das Mittagsmahl schon seiner wartete. Nach demselben verließ er den Hof wieder, um sich in den Wald zu begeben. Er brauchte einige Spannhölzer für die Wagen und hatte vom Förster den Auftrag erhalten, sich die passenden Eichen-oder Buchenstämmchen auszusuchen und zu bezeichnen.
    Im Freien angekommen, schlug er unwillkürlich einen Umweg ein, um den Feldhof zu vermeiden, welcher eine Strecke vor dem Dorfe lag. Droben auf der Höhe, wo das Buschwerk begann, kamen ihm Schritte entgegen. Der Nahende war kein Andrer als der Feldbauer. Als er Frieder erkannte, blieb er mitten auf dem Pfade stehen. Sein Gesicht trug noch die vollständigen Spuren der Züchtigung, die er von dem Jüngling erhalten hatte. Sie entstellten ihn mehr als bis zur Häßlichkeit, so daß sein Wegbleiben von der Kirche gar nicht zu verwundern war. Es mußte eine sehr dringliche

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