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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Schimmel gerade genug zu tragen hatte. Grad vor ihnen parirte er mitten auf dem Wege das Pferd, so daß auch Baldrian zum Halten gezwungen war.
    »Holla, wer ist denn das? Das ist ja der Goliath mit dem Student’n, der in die weite Welt ‘gangen ist, weil ihn zu Haus’ Niemand gern leid’n mag! Fahrt seitwärts ab, damit anständ’ge Leut’ vorüber können!«
    »Ihr könnt uns eher ausweich’n als wir Euch, Feldbauer,« meinte der Knecht. »Reitet ab!«
    »Ich Euch, Grünschnabel? Fällt mir gar net ein! Marsch auf die Seit’, sonst helf ich nach!«
    Als Baldrian keine Miene machte, dem Gebote zu folgen, bekam der Schimmel die Sporen, der Reiter hielt im nächsten Augenblicke neben dem Wagen und zog dem Knechte mit der Peitsche einen kräftigen Hieb über das Gesicht herüber.
    »So, Hallunk’, da hast’ was Du brauchst, um ein ander Mal zu wiss’n, wer Meister ist, Du oder ich!«
    »Was ist das, Feldbauer?« frug da der Blinde. »Du wagst es, mein Gesind’ zu schlag’n! Könnt’ ich noch sehn, so wollt’ ich Dich schon heimleucht’n!«
    »Du mir heimleucht’n? Denkst’ vielleicht, ich fürcht’ mich vor Dir? Da, hast’ den Hieb grad auch so wie der Knecht!«
    Er holte aus zum Schlage, kam aber nicht dazu. Mit einem gedankenschnellen Sprunge war Frieder aus dem Wagen und griff dem Schimmel in die Nüstern, daß er vorn emporstieg und zwar so kerzengrad, daß der Reiter zu Boden fiel. Sofort kniete der junge Mann auf diesem, entriß ihm die Peitsche und bearbeitete ihn mit derselben scheinbar so mühelos, als habe er einen Schulknaben unter sich liegen.
    »Frieder, Frieder, was machst’?« rief der Blinde angstvoll, welcher nicht anders glaubte, als daß die so hörbaren Schläge dem Sohne gälten.
    »Ich lehr’ ihn Achtung vor den Bachbauern, Vater. Hab’ keine Sorge um mich!«
    Der Feldbauer strengte seine ganze Kraft an, sich emporzubäumen und den Gegner abzuwerfen; es gelang ihm nicht. Die thatendurstige Erbitterung, welche die Erzählung des Vaters in dem Herzen Frieders hervorgerufen hatte, war durch die diesem gewordene Beleidigung zum Ausbruche getrieben worden. Der Jüngling hielt die Arme des Feindes unter den Knieen fest, drückte ihm mit der Linken die Kehle wie zwischen einem Schraubstocke zusammen und ließ mit den unaufhörlich niedersausenden Peitschenhieben nicht eher nach, als bis er fühlte, daß die Widerstandskraft des Feldbauern vollständig erlahmt sei.
    »So, da hast genug und bist gezeichnet für lange Zeit! Ich will Dich lehr’n, den Knecht zu schlag’n und den Vater zu schimpfir’n. Die Peitsch’ nehm’ ich mit zum Zeich’n, daß der Student, den Niemand leid’n mag, weit über den Feldbauer kommt, der der Liebling ist vom ganz’n Dorf. Willst’ sie wieder hab’n, so kannst’ sie vom Bachhof hol’n, nachher sollst’ sie bekommen, aber anders net!«
    Er gab dem Schimmel einen Schlag, daß dieser laut wiehernd das Weite suchte, und sprang, ohne den Ueberwundenen eines weiteren Blickes zu würdigen, schnell in den Wagen, der seinen Weg unverzüglich fortsetzte.
    »Frieder!« stieß der Blinde voller Erstaunen hervor.
    »Wunderst Dich wohl, Vater? Der Feldbauer mag Dir beinah’ gewachs’n sein, wie Du vorhin gemeint hast, mir aber net! Willst’ mich nun noch den ›Knirps‹ heiß’n?«
    »Nun sicher net! Ich hab’ Dich vor mir geschaut immer nur grad so, wie Du vor fünf Jahr’n gewes’n bist, und es ist wahr, Du bist gewachs’n, Frieder. Aber einen Feind hast’ Dir erworben, der Dir die Zücht’gung niemals vergeben wird!«
    »Ich fürcht’ ihn net und nehm’s mit Zweien auf von seinem Schlag!«
    Als der Wagen in den Bachhof, welcher der erste und größte des Dorfes war, einfuhr, stand die Bäuerin schon zum Empfange bereit.
    »Komm her, Anna, und nimm den Sohn wohl auf,« meinte der Blinde. »Er hat die grüne Mütz und die Klunker abgelegt und will für immer bei uns bleib’n. Ich sag’ Dir, daß er ein Bachbauer werd’n wird, wie’s noch keinen gegeb’n hat, denn der Mensch ist ein Ries’, noch dreimal größer als der Goliath!« – –
II.
Die erste Spur
    Es war am nächsten Sonntag. Der Gottesdienst ging zu Ende, und die Kirchgänger traten auf den Kirchhof heraus, um den gewohnten Umgang durch die Gräber zu halten und dabei die Neuigkeiten der vergangenen Woche zu besprechen. Die Stadt hat ihre Kränzchen und Brunnenversammlungen, das Dorf seine Spinnstuben und Gottesackermeetings, auf welchen Mann und Weib, Alt und Jung

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