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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aber selbst den Stein und seine Umgebung genau überblicken konnte. Er brauchte nicht lange zu warten, denn schon nach Kurzem wiederholte sich dieselbe Scene, und nach Verlauf von einigen Stunden hatte er neunzehn Personen gezählt, welche den Stein entfernt und den Zettel gelesen hatten. Die Meisten waren ihm fremd; aus seinem Dorfe befanden sich nur Einige darunter, und diese Wenigen waren sämmtlich als mißtrauenerregende Charaktere bekannt. Zwischen dem Erscheinen der Einzelnen lagen fast regelmäßig zehn Minuten, und nicht ein einziges Mal geschah es, daß Zwei zugleich erschienen, auch kamen und gingen sie nicht aus und nach derselben Richtung, sondern diese Richtung wurde immer rundum nach den Himmelsgegenden eingehalten. Die Leute waren allem Anscheine nach höchst pünktlich und wohl disziplinirt, und der ganze Modus schien darauf berechnet zu sein, ein Zusammentreffen streng zwischen ihnen zu vermeiden, damit nicht Einer den Andern erkenne.
    Aus Besorgniß, sich zu verrathen, verließ Frieder sein Versteck nicht eher, als bis die Dämmerung hereingebrochen war. Dann schlich er sich mit unhörbaren Bewegungen fort und erreichte unter Anwendung der größten Vorsicht das offene Feld.
    Zu Hause angekommen theilte er den Eltern nicht das Mindeste von der Entdeckung mit, zu welcher ihn die unschuldige Ringelnatter geführt hatte. Er suchte so gleichgiltig wie möglich zu erscheinen und ging nach dem Abendessen, um jede Gelegenheit zu einem verräterischen Worte zu vermeiden, in die Schenke, aus welcher er erst nach einigen Stunden heimkehrte.
    Eben wollte er die Pforte öffnen, als diese von innen aufgezogen wurde.
    »Gut’ Nacht, Bachbäu’rin!« hörte er grüßen.
    »Gut’ Nacht, Marthe. Laß Dich ja bald wieder blick’n!«
    Das Mädchen trat auf die Straße und blieb hier stehen, trotzdem die Pforte sich hinter ihr geschlossen hatte. Sie wandte ihr Gesicht das Dorf hinauf, grad wie Jemand, der zwar Niemand erwartet, aber durch einen geheimnißvollen Rapport immer in der Richtung des Gegenstandes seiner Gedanken gehalten wird.
    »Martha!« erklang es da neben ihr; »erwart’st Wen hier auf der Straß’?«
    »Frieder! Wie hast’ mich doch erschreckt!«
    »Warst’ bei den Eltern drin?«
    »Ja. Nun siehst’, daß ich bereits angefangen hab’, die Furcht vor Dir zu überwind’n!«
    »Wird’s auch vollständig gelingen?«
    »Das kommt nicht blos auf mich, sondern noch vielmehr auf Dich an.«
    »Wie so?«
    »Das kannst’ Dir wohl net denk’n?«
    »Vielleicht! hör’, Martha, ich werd’ immer so zu Dir sein, daß die Furcht völlig verschwindet. Darf ich?«
    »Ja.«
    »Und kommst’ bald wieder her?«
    »Sobald ich Zeit dazu find’.«
    »Das machst’ sehr recht. Nun gut’ Nacht, Martha!«
    »Gut’ Nacht? Hast wohl sehr eilig?«
    »Nein; aber ich mag Dich net gern stör’n.«
    »Mich stör’n? Worin?«
    »Hast’ net vorhin den Schatz erwartet?«
    »Frieder!«
    »Oder bist’ allein im Dorf?«
    »Ja, ganz allein, heut und all’zeit. Ich hab’ Niemand gesucht und also auch Niemand gefund’n, zu dem ich gehn und mit ihm plaudern möcht, als nur Deine Eltern Frieder. Willst’ das glauben?«
    »Dir glaub ich All’s, und wenn es noch so unglaublich klingt! Darf ich mitgeh’n bis hinaus zum Feldhof?«

    »Ja.«
    »So komm!«
    Sie schritten neben einander und ohne sich zu berühren oder ein Wort zu sprechen, dem Hofe zu. Es war Beiden genug, daß sie bei einander waren. Er konnte nicht ablassen, wieder und immer wieder in ihr schönes Angesicht zu blicken, welches im Mondlicht so zart und feenhaft aus der leichten Hülle blickte, die sie um den Kopf geschlungen hatte. Und sie konnte, wenngleich verstohlen, kein Auge verwenden von der mannhaften Gestalt, welche sich mit so rüstigen und zugleich eleganten Bewegungen an ihrer Seite hielt. Es war ihr, als könne sie so mit ihm gehen fort und immerfort, von einem Ort, von einem Erdtheile zum andern, weit über die Erde hinaus bis in den Himmel hinein, der mit ihm doppelte Seligkeit bieten müsse.
    Unweit des Feldhofes blieben sie unter dem Schatten der Erlen, welche die Ufer des Baches bestanden, stehen.
    »Hat Dein Vater net gefragt, wohin du gehst, Martha?«
    »Nein. Er geht des Abends stets punkt Acht zur Ruh und schläft dann so fest und gern, daß er auch in der dringendsten Sach’ net geweckt werd’n darf. Drum weiß er net, ob ich bleib’ oder geh’.«
    »Aber die Mutter darf’s wiss’n?«
    »Ja, und sie hat ihre Freud’ daran, wenn

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