Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
hatte. Dieser Tag hatte ihr das Dasein gegeben, hatte dann über ihre Lebensrichtung entschieden und sollte ihr nun auch Klarheit bringen über die Zukunft ihres Kindes. Sie erwartete deshalb in einer späteren Morgenstunde den Botenfuhrmann, mit dessen Geschirr sie in Begleitung Augustens nach Chemnitz zum Augenarzte zu fahren gedachte. Ihre Mittel reichten zwar für eine länger andauernde Kur bei Weitem nicht aus, denn der allgemeine Nothstand hatte als eine Folge des Krieges sich schon seit längerer Zeit auch für sie fühlbar gemacht und ihre Kasse erschöpft, aber der Junker hatte für heut früh die Ablieferung der Wäsche bedingt, da er verreisen müsse, und von der Bezahlung dieser Arbeit konnte sie wenigstens die Kosten der Reise und einer ärztlichen Consultation bestreiten. – Da wurde sie in ihrem Nachdenken unterbrochen.
»Mutter, bist Du unten?«
»Ja, hier bin ich.«
»Komm doch einmal recht schnell herauf!«
Sie folgte dem Rufe, hatte aber oben die Stubenthür kaum geöffnet, so stieß sie einen lauten Schrei der Ueberraschung aus. Grad der Thür gegenüber hing das in Oel gemalte Brustbild des Mannes, an den sie heut schon so viel gedacht hatte. Die Röthe der Gesundheit und Jugend auf den Wangen, das gold-und silberbetreßte Cerevis auf den Locken, schien er lebendig hinter den reich verzierten und von Guirlanden umwundenen Rahmen getreten zu sein, um den Wunsch zu erfüllen, den sie vor nicht langer Zeit mit heißem Verlangen gegen die Tochter ausgesprochen hatte. Mit ausgebreiteten Armen stürzte sie laut schluchzend auf das Bild zu und drückte die krampfhaft zuckenden Lippen wieder und immer wieder auf dasselbe.
»Emil, Emil, mein Emil! Ist’s wahr, daß diese Leinwand Deine lieben, unvergeßlichen Züge so treu und wahr festzuhalten vermag, wie sie meinem Herzen eingegraben sind? Auguste komm, eile her und sieh Deinen Vater!«
»Mutter, ich kann nicht.«
»Mein Gott, es ist ja wahr! Aber Du sollst ihn sehen, Du mußt ihn sehen, ich fühle in diesem Augenblicke, daß Gott nicht Gott sein müßte, wenn unsre Gebete unerhört blieben! Aber wer hat uns diese Ueberraschung bereitet, wo kommt das Bild her, und wer hat es gemalt? Du weißt es!«
»Nein. Als ich aufgestanden war und die Stube betrat, fühlte ich den Kranz dort auf dem Tische und dachte mir gleich, daß es ein Geburtstagsgeschenk für Dich sein solle. Deshalb rief ich Dich.«
»Auch dort noch! Was ist es?«
Der Tisch war mit einer weißen Decke überbreitet, auf welcher, von Blumen, Früchten und Confect umgeben, eine kunstreich gearbeitete Silberplatte mit einem Briefe lag. Hastig ergriff sie den Letzteren, warf einen Blick auf die Adresse und fiel dann wie besinnungslos in den Sessel.
»Mutter, meine gute Mutter, was ist Dir?«
»Nichts, o nichts! Laß mich und gönne mir nur einen Augenblick der Erholung!«
Mit den gefalteten Händen den Brief an die hochklopfende Brust drückend, saß sie geschlossenen Auges da und ließ durch das Lächeln des Glückes, welches auf dem sonst so blassen Angesichte lag, die Seligkeit errathen, von welcher sie überwältigt worden war. Aber die Ungewißheit über den Inhalt des Briefes ließ ihr nicht lange Ruhe, und mit vor Erregung zitternden Händen öffnete sie ihn.
»Es ist ein Brief von Deinem Vater; ich erkannte sofort die Handschrift, trotzdem sie sich im Laufe der Jahre viel verändert hat. Hier steht seine Unterschrift und da ist auch die alte, trauliche Anrede, welche er stets gebrauchte:
›Gott grüße Dich, mein Herz!
Ich habe viel und schwer an Dir gesündigt und darf deshalb wohl kaum erwarten, daß Du mir ein freundliches Andenken bewahrst. Aber das Verlangen nach Vergebung und Sühne treibt mich zu Dir und dictirt mir den Gruß, welchen ich heut an Deinem Geburtstage Dir als den Vorboten einer baldigen Ankunft übersende.
Emil Wallner.‹«
»Hörst Du«, rief sie jauchzend, »er kommt, er hat mich nicht vergessen, und wenn er auch nichts von Liebe schreibt, so verbietet ihm doch nur die Ungewißheit über meine Gesinnung dieses Wort. O, nun ist Alles, Alles gut, und ich darf die Vergangenheit hinter mich werfen wie einen schweren Traum, von welchem man erwacht, um sich der schönen Wirklichkeit doppelt zu erfreuen. Doch laß uns jetzt unten fragen, wem wir diese Freude zu danken haben!«
Aber trotz aller Dringlichkeit war nichts zu erfahren. Die beiden Schmiede waren im Hausflure beschäftigt gewesen und konnten also mit Gewißheit behaupten, daß
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