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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Niemand ein-und ausgegangen sei, und von ihnen selbst konnte die Gabe ja unmöglich abstammen.
    Während man sich unten deshalb in verschiedenen Vermuthungen erging, befand Auguste sich oben allein im Zimmer und wartete auf das Ergebniß der Erkundigung. Zwar gab es eine Ahnung in ihr, aber sie konnte derselben nicht Raum geben, da sie ihr zu unbegründet erschien. Da ging unten die Hausthür und die Treppe knarrte unter schweren, gewichtigen Tritten. Sie hatte in den letzten Wochen diesen Schritt öfterer hören müssen als ihr lieb war, und zog sich, als die Thür geöffnet wurde, in die Ecke des Zimmers zurück.
    »Guten Morgen!«
    »Guten Morgen, Herr Junker!«
    »Ich komme nach meiner Wäsche zu sehen und finde Dich allein in der Stube. Ist Deine Mutter ausgegangen?«
    »Nein, sie befindet sich unten und ich werde sie rufen. Eure Wäsche ist fertig.«
    »Laß das Rufen einstweilen, die Zeit wird mir bei Dir nicht allzu lang werden.«
    »Aber uns ist sie heut karg zugemessen, wir verreisen.«
    »Ach so! Wohin?«
    »Nach Chemnitz zum Augenarzte.«
    »Das ist klug und nothwendig. Aber gehen könnt Ihr den weiten Weg doch nicht?«
    »Nein, wir fahren mit dem Boten.«
    Sie hatte nicht sehen können, wie sein kleines, stechendes Auge schadenfroh unter den buschigen Brauen hervorgeblitzt hatte, als sie ihm arglos Mittheilung von der beabsichtigten Reise machte. Jetzt war er ihr näher getreten und ergriff ihre Hand.
    »Ich wünsche Dir natürlich den besten Erfolg, aber so lange Euch das Geld zu einer eingehenden ärztlichen Behandlung fehlt, glaube ich nicht an ihn. Wenn Du nur ein klein bischen zutraulicher sein wolltest, würde ich alle diese Ausgaben auf mich nehmen.«
    »Laßt mich, Herr, ich muß die Mutter rufen!«
    »Nachher Schatz, wenn wir uns verständigt haben.«
    Er zog sie gewaltsam an sich und merkte im Eifer nicht, daß die Mutter eingetreten war.
    »Herr von Bredenow, gelten Eure Besuche Eurer Wäsche oder einem andern Gegenstande?«
    »Beides, meine liebe Dame«, antwortete er und hielt dabei das Mädchen noch immer fest.
    »Die Wäsche ist fertig.«
    »Gut, ich werde sie abholen lassen.«
    »Dann können wir Euch also Adieu sagen?«
    »In dieser Angelegenheit werdet Ihr mir wohl die Initiative lassen müssen. Ich habe vom Fräulein hier gehört, daß Ihr nach Chemnitz wollt und stehe eben im Begriff, die kranken Augen einer näheren Besichtigung zu unterwerfen, um auch mein wohlgemeintes Urtheil abgeben zu können.«
    »Dann bitte ich, diese Besichtigung auf eine gelegenere Zeit zu verschieben. Der Fuhrmann hält schon unten und wir dürfen uns nicht mit unnützen Dingen beschäftigen.«
    »Ach so, man weist mir also die Thür?«
    »Sie ist zu groß, um nicht auch ungewiesen bemerkt zu werden.«
    »Gut, ich gehe, vorher aber erlaube ich mir einen kleinen Abschied.«
    Er legte den Arm wieder um das Mädchen, wurde aber von der erzürnten Mutter sofort gefaßt.
    »Laßt das Kind gehen oder ich rufe sofort Hilfe herbei!«
    »Ah, jetzt wird es interessant; die Katze schützt das Kätzchen.«
    Er stieß die Störende von sich und verfolgte das Mädchen, welches sich wieder in die Ecke zurückgezogen und den Tisch als Schutzwehr vorgeschoben hatte.
    »Meister, Richard, herbei, zu Hilfe!« rief die Mutter.
    Der Geselle stand allein am Herde, voltigirte sofort mit zwei Sätzen die Treppe hinauf und stand im nächsten Augenblicke zwischen Auguste und dem Junker. Das Weiße seines blitzenden Auges stach furchterweckend aus dem rußgeschwärzten Gesichte hervor und seine Stimme klang kurz und gebieterisch, als er, auf die Thür zeigend, das Commando wiederholte, welches er diesem Manne gegenüber schon einmal ausgesprochen hatte:
    »Kehrt! – Marsch! – Eins!« –
    Da trat auch der Meister in die Stube, und der Junker, welcher sich in Gegenwart der Frauen vielleicht muthiger als damals gezeigt hätte, sah sich, zwei Gegnern gegenüber, gezwungen, das Feld zu räumen.
    »Es sei denn, ich weiche, aber nur um Spectakel zu verhüten. Unser nächstes Zusammentreffen aber wird zwischen uns entscheiden.«
    Nach Berichtigung seiner Rechnung trat er den schimpflichen Rückzug an und die beiden Frauen bestiegen kurze Zeit später den Leiterwagen, der sie der bang erwarteten Entscheidung entgegenbringen sollte.
     
    Der Tag verging, bereits dunkelte der Abend herein und noch waren sie nicht eingetroffen. Weißpflog wurde unruhig und löschte früher als gewöhnlich das Feuer aus. Die beiden Hausgenossen waren ihm so

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