Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
der Lehne. Obgleich so matt und angegriffen, daß er es nur bei einem ganz besonderen Ausbruche der Laune zu einem kurzen, schmerzhaft verzogenen Lächeln brachte, mußte er doch hier und da Rede und Antwort stehen; es ging nicht anders, und als er sich nach vielem Zureden sogar herbeiließ, aus einem dargebotenen Glase zu nippen, schien er Alles gethan zu haben, was in seinen arg geschädigten Kräften stand. Es gab Keinen, der ihm eine besonders große Freundschaft gezollt hatte, aber sein außerordentliches Leiden hatte einen versöhnenden Charakter für Vieles, was sonst ganz sicher zur Geltung gekommen wäre.
Keiner der Anwesenden bemerkte, daß in dem unerleuchteten Nebenzimmer, welches durch ein Buffetfenster mit dem Saale in Verbindung stand, Einer weilte, der mit bleichem Angesichte das bunte Treiben beobachtete und den forschenden Blick ganz besonders auf den Müller geheftet hielt. Dieser Letztere konnte endlich den ihn umwogenden Lärm unmöglich mehr ertragen; er hatte seiner Pflicht als Geschenkwirth genug gethan und gab dem bereitstehenden Hans einen Wink, ihn fortzubringen. Er wurde unter Dankesbezeigungen in seinem Sessel hinunter auf die Straße getragen und von dem treuen Knechte dann trotz des beschwerlichen Weges glücklich nach Hause gebracht.
»Geh’ hinauf, Hans,« gebot er dort, »und schau nach dem Ferdinand! Er darf nun herunterkommen!«
Der Abgesandte kehrte nach kurzer Zeit zurück und meldete, daß der junge Herr noch wie zuvor im tiefen Schlafe liege. Der gute Alte konnte die Einsperrung gar nicht begreifen, hatte sie aber doch pflichtschuldigst ausgeführt, weil er gewohnt war, jeden Befehl des Müllers ohne Widerrede zu vollziehen.
»Das ist gut; so hat er also gar nicht gemerkt, daß wir fortgewesen sind und ihn festgehalten haben. Erzähl’ ihm nichts davon und geh’ jetzt schlafen!«
Hans rollte den Stuhl hinaus in die Kammer, schob seinem Meister behutsam ein Kissen unter den Kopf, sah nach, ob Alles sich in der gehörigen Ordnung befinde, und begab sich dann zur Ruhe.
Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so erhob sich der Müller vom Stuhle, streifte die Watte von den Beinen und reckte und dehnte die Glieder, als fühle er sich um einen beträchtlichen Theil seiner Größe zusammengeschrumpft.
»Endlich ist’s für heut’ und nun bald auch für immer überstanden! Ich hab’ nun die längste Zeit Komödie gespielt, und den Schluß, den wird das wunderthätige Muttergottesbild zu Mariahilf zu Weg’ bringen. O, über die Dummen, die gar nimmer alle werden! Solche Staatsstreich’ wie den fremden Lotteriegewinn und die Schwagerschaft mit dem Horn, durch die ich ihn sicher gemacht hab’, bringt doch nur der Obermüller fertig. Und die Gicht mit sammt meinem dicken Bauch ist erst recht ein Meisterstück. Wer nicht laufen kann, der kann auch nicht den Leuten ihr Geld wegholen, und wer nun gar am Leib so geschwollen ist, wie ich, der vermag unmöglich durch ein Fenster zu kriechen!«
Er knöpfte die Kleidung auf und zog das Futter hervor, welches ihm ein so geschwollenes Aussehen ertheilt hatte.
»Jetzt will ich hinaus in meine Räuberhöhl’; der Lebrecht wird bald kommen und mir die verheißene Botschaft bringen! Ich hab’ mich heut’ im Dorf gezeigt; sie Alle haben gesehen, wie schlimm es mit mir steht, und sind voll Mitleid und Erbarmung gewesen. Wenn morgen früh dem Horn seine Herauszahlung fehlt, so weiß ich ganz gewiß, auf wen der Verdacht unmöglich fallen kann. Er muß als Bettler fort; ich hab’s damals geschworen, als ich den Proceß verlor, und darum werd’ ich heut’ noch einen Gang zu ihm machen. Es ist der letzte, den ich thu’, und was so viele Mal gelungen ist, das wird auch dieses letzte Mal von statten gehen!«
Er verriegelte die Thür, welche zur Wohnstube führte, trat dann an das Bett und schob es mit Leichtigkeit bei Seite. Als er den Zugang zu dem Nebenraume aufstieß, drang durch denselben ein heller Lichtschein in die Kammer.
»Bist Du schon da, Lebrecht?« fragte er leise, sich niederbeugend.
»Schon eine ziemliche Weil’,« lautete die Antwort. »Ich hab’ mir die Lamp’ angebrannt, weil mir die Zeit zu lang geworden ist.«
»Schon recht! Ist das Loch oben zu?«
»Ja. Ich werd’ es doch nicht offen lassen, damit die Frösch’ und Kröten herunterschauen und dann unsere Sach’ in die Welt hinein quaken können!«
Der Sprecher war ein kleiner, verwachsener und rothhaariger Bursche, der dem jetzt
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