Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Der Siegellack war nicht mit dem Petschafte, sondern nur mit dem Finger angedrückt worden; es war also bei der nöthigen Vorsicht möglich, eins der Packete zu öffnen und wieder zu verschließen, ohne eine auffällige Spur davon zurück zu lassen. Ferdinand that es; eine beträchtliche Anzahl von Cassenscheinen blickte ihm entgegen. Hatten die anderen Packete den gleichen Inhalt, so müßte der Gewinn, den der Vater gemacht hatte, ein nicht unbedeutender sein.
    Die Hefte waren Kalender, welche nach der Folge der Jahreszahl aufeinander gelegen hatten. Er durchblätterte den ältesten derselben. Auf den unbedruckten Rändern waren verschiedene ökonomische Bemerkungen angebracht, zwischen denen sich zuweilen eine auf einen anderen Gegenstand bezog, der von Zeit zu Zeit wiederkehrte und die Aufmerksamkeit des jungen Mannes außerordentlich zu fesseln begann. Die kurzen Worte, welche von der ungeübten Hand des Obermüllers neben die roth angestrichenen Tage gesetzt waren, betrafen meist die Niedermühle und bildeten, der Zeit nach aneinander gereiht, den Abriß einer Geschichte von ihr, für welchen Ferdinand allerdings das klare Verständniß entgehen mußte. Er durchschlug einen der Kalender nach dem andern. Was hatten die vielen Zahlen und der sonderbare Name »Marder« zu bedeuten, welcher stets bei ihnen stand?
    Er mußte unwillkürlich an die Zeit denken, in welcher Horn in die Gegend gekommen war, um die Niedermühle zu bauen. Damals hatte Klaus, als er den Proceß verloren sah, öfters ingrimmig geäußert: »Den Menschen, den mach’ ich todt um jeden Preis, und sollt’ ich selber mit zu Grunde geh’n!« Er brachte die Sachen sorgfältig wieder an ihren vorigen Platz und stand schon im Begriffe, wieder empor zu steigen, als er einige Kleidungsstücke bemerkte, welche hinter der Leiter an der Wand hingen. Er besah sie. Sie gehörten dem Vater; sie waren schon sehr alt, aber der Schmutz, welcher an ihnen hing und mit welchem besonders die Stiefel bedeckt waren, schien noch nicht vollständig vertrocknet zu sein. Sie waren erst vor Kurzem, vielleicht am vorigen Abende, in Gebrauch gewesen.
    Er blies die Lampe aus und verließ unter unbeschreiblichen Gefühlen den räthselhaften Ort. Auf dem Damme angekommen, stieg er von demselben hernieder und schritt zur Hausthür. Sie war von außen verschlossen, und Niemand schien daheim zu sein. Konnte der Vater das Haus verlassen? In tiefen Gedanken wendete er sich dem Dorfwege zu. Bei der Niedermühle angekommen, sah er die Gebäude derselben dunkel und lichtleer vor sich liegen. Der Graben war zugestellt; das reiche Wasser rauschte arbeitslos über das Wehr hinab; kein Rad ging, kein Stampfkolben ließ sich hören, und auch die Säge im Schneidehause ruhte. Warum wurde heut’, an einem Werktage, gefeiert?
    Ein einziges, im Parterre gelegenes Fenster war erleuchtet. Er begab sich in den Flur und klopfte; auf den von innen erschallenden Ruf öffnete er und trat in das Zimmer.
    Das junge Mädchen, welches arbeitend am Tische saß, sprang bei seinem Anblicke vom Stuhle empor und eilte mit freudeglänzendem Gesichte auf ihn zu.
    »Vater, Mutter, der Ferdinand ist’s! Kennt Ihr ihn denn nicht?«
    »Halt!« ertönte es da; der Vater eilte aus dem Dunkel der Ecke herbei und stellte sich zwischen die beiden jungen Leute. »Du brauchst mir nicht zu sagen, wer es ist; ich seh’ es schon von ganz allein. Es ist der neue Niedermüller, der von der Wanderschaft zurückkehrt, um uns hinweg zu jagen. Scheer’ Dich hinaus, Gichtmüllerssohn! Die Mühl’ ist Euer, aber diese Stub’ gehört noch mir, und so lang’ ich noch darin zu wohnen hab’, darf mir das Klausvolk mit keinem Schritt herein!«
    »Ich bitt’ Euch, Niedermüller,« meinte Ferdinand erschrocken, »was hab’ ich Euch denn zu Leid gethan, daß Ihr solche Red’ gegen mich führt? Was ist’s mit der Mühl’ und mit dem neuen Müller? Ich versteh’ Euch nicht!«
    »So hat Dein Vater, der alte Judas Ischarioth, es Dir noch nicht gesagt und Dir auch nichts davon geschrieben? Da muß ich Dir’s schon mittheilen, damit Du die Schadenfreud’ ein wenig eher hast! Er hat heut’ die Niedermühl’ erstanden und von seinem Lotteriegeld baar bezahlt. Du bist nun ein großer Mann und brauchst jetzt den Horn und seine Leut’ gar nimmer anzuschau’n!«
    »Die Niedermühl’ erstanden – und baar bezahlt – – der Vater?« fragte der Jüngling fast erschreckt. »Das ist ja gar nicht möglich! Wie ist es denn gekommen,

Weitere Kostenlose Bücher