Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Papier, welches er zusammenfaltete und zu sich steckte. Dann begab er sich in einen Schuppen, in dessen hinterstem Winkel sich allerlei Geröll befand. Dieses räumte er weg und hob einen Stein empor; unter demselben befand sich ein kleiner Raum, aus welchem er einige Gegenstände hervorzog, mit denen er den Hof verließ. Im Walde, welcher beinahe bis an denselben heranstieg, angekommen, machte er Gebrauch von ihnen. Zunächst legte er einen langen, buschigen Bart um das Gesicht und bog einen alten, zusammengedrückten Hut auseinander, den er aufsetzte. Die breite Krempe desselben bedeckte den oberen Theil des Gesichtes so vollständig, daß man nichts davon zu erkennen vermochte. Dann zog er über seinen bisherigen Anzug eine Weste, die er mit Tüchern und Flecken ausstopfte. Ein weiter Sackrock vervollständigte die Ausstattung, die seiner hageren Gestalt einen solchen Umfang verlieh, daß er unmöglich erkannt werden konnte.
Nun drang er durch Dick und Dünn in gerader Richtung vorwärts und bekundete dabei eine solche Terrainkenntniß, daß er diesen Weg schon oft gemacht haben mußte. Nach einiger Zeit gelangte er an einen Pfad, welcher sich vom Dorfe herauf durch den Wald schlängelte. Er verfolgte ihn bis zu einer hohen, breitästigen Buche, durch deren Zweige der Mond seine ungewissen Strahlen warf. In diesem zweifelhaften Lichte gewahrte er eine Gestalt, welche sich am Stamme des Baumes zu schaffen machte. Er zog ein Messer aus der Tasche des Rockes, legte den Finger an den Mund und ließ einen leisen, eigenthümlichen Pfiff erklingen. Die Gestalt richtete sich empor und antwortete in der gleichen Weise. Im nächsten Augenblicke stand er bei ihr.
»Der Meister!« ertönte es mit gedämpfter Stimme, aber doch so laut, daß es Einer vernahm, den Beide nicht bemerkt hatten. Es war Heiner, der unweit der Forstschenke die Straße verlassen hatte, um die Heimath eher zu erreichen. Auf dem weichen Boden beinahe geräuschlos dahinschreitend, fiel ihm plötzlich ein Rascheln der Zweige auf, welches sich von seitwärts her vernehmen ließ. Er blieb stehen und sah einen Mann aus dem sich hier befindlichen Unterholze treten, der nach kurzem Lauschen denselben Weg einschlug. Er folgte ihm. Bei der Buche blieb er, sich niederbeugend, halten, und wenige Augenblicke später machte der Pfiff des Wiesenbauers Heiner auch auf diesen aufmerksam. Er hörte den Ausruf des Andern, der ihn veranlaßte, sich eiligst hinter einem nahen Stamm zu verbergen, und vernahm auch das Meiste der nun folgenden kurzen Unterhaltung.
»Ja, der Meister! Hast’ die Depesch’ schon herausgenommen?«
»Ja.«
»Gieb sie wieder her! Es ist anders geword’n. So, da hast’ den neuen Zettel, und daß mir zur Versammlung Keiner fehlt! Jetzt kannst gehen!«
Der Mann ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.
»Halt, noch ein Wort!« meinte der Wiesenbauer, indem er auf ihn zuschritt. Der Angerufene kehrte zurück und Beide trafen gerade an dem Baume zusammen, an welchem Heiner lehnte; Beide bemerkten ihn auch zu gleicher Zeit, und da sie sofort erkannten, daß er alles bemerkt haben müsse, warfen sie sich im Augenblicke von zwei Seiten auf ihn. Ehe er sich nur zur Wehr setzen konnte, lag er auf dem Boden und das Messer Oppermann’s blitzte über ihm. In diesem Momente fiel ein Mondesstrahl in das Gesicht des sich unter der doppelten Last vergeblich Aufbäumenden und die erhobene Faust sank mit dem Messer wieder nieder. Der Grenzmeister mußte eine gewaltige Selbstbeherrschung besitzen, denn ohne den geringsten Laut der Ueberraschung erhob er sich und gebot dem Fremden:
»Lass’ ihn los und geh! Es ist ein sich’rer Mann!«
Auch Heiner sprang auf.
»Komm!« gebot der Alte und schritt voran.
Unter Gefühlen, wie er sie noch nie gekannt hatte, gehorchte der junge Mann dieser Weisung. In der Nähe des Wiesenhofes angekommen, blieb der Voranschreitende stehen.
»Vater, um Gotteswillen, Du bist der Grenzmeister!«
»Schweig’, neugieriger Bub’, und danke Gott, daß ich’s selber und kein Andrer war, sonst hätt’st die Kling’ geschmeckt! Ich geh’ von hint’n in den Hof, Du aber wend’st Dich zur Straß’ und kommst nach zehn Minut’n durch das vordre Thor. Aber sagst’ nur ein Wort von dem, was jetzt vorgefall’n ist, zu Jemand, eh’ ich mit Dir weiter gesproch’n hab’, so hast’s mit mir zu thun!«
Er ließ ihn stehen. Heiner blickte ihm mit angstvollem Herzen nach.
»Herrgott, was soll d’raus werd’n! Ich
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