Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
hab’ mich net auf die Heimat freuen können, und nun mein Fuß auf ihr steht, seh’ ich das Unglück vor mir, größer und mächt’ger, als ich mir’ s jemals denk’n konnt’!«
Der nächste Tag war ein Sonntag. Die Wiesenbäuerin war schon in der frühsten Morgenstunde wach und wunderte sich, als sie, in die Wohnstube tretend, den Bauer, der doch sonst sehr lang zu schlafen pflegte, auch schon munter fand. Er erwiederte mürrisch ihren freundlichen Gruß.
»Geh’ hinauf und weck’ den Heiner, ich muß ihn hab’n!«
Sie stieg die Treppe wieder empor und trat in die Kammer des noch fest schlafenden Sohnes, den die Aufregung des vergangenen Abends nur spät zur Ruhe hatte kommen lassen. Ein Kuß weckte ihn. Er schlug die Augen auf.
»Mutter!«
Er schlang die Arme um sie und erwiderte ihren Kuß.
»Ich hab’ soeb’n von Dir geträumt, von Dir und – und der Paulin’.«
»Heiner, laß den Namen net vom Vater hör’n! Du weißt, wie er mit Thorbauers steht. Jetzt sollst sogleich zu ihm herunterkommen!«
»Sogleich? Was will er denn?«
»Ich weiß es net. Er ist schon vollständig angezog’n, als wollt’ er ausgehn. Thu’s auch so!«
Als Heiner – wie der Gebirgler sich den Namen Heinrich gern zurechtlegt – die Treppe hinabstieg, kam der Stiefvater aus der Stube.
»Komm!«
»Wohin?«
»Wirst schon sehen! Den Kaffee kannst nach der Rückkehr trink’n, denn Du sollst net eher mit mir am Tisch sitz’n, als bis wir klar und einig sind!«
Also darum hatte sich der Bauer gestern weder beim Abendbrot noch auch später sehen lassen! Heiner ging an seiner Seite. Sie verließen das Dorf und betraten in der Richtung nach dem Wassergrunde zu den Wald. Der schmale Weg war rechts und links von jungen Tannen bestanden, zwischen denen sie rüstig dahinschritten, bis Oppermann horchend stehen blieb. Laute Schritte nahten.
»Schnell unter die Bäum’!«
Heiner that es und sah nicht, daß sein Vater, ehe er ihm folgte, einen zusammengeknitterten Zettel fallen ließ. Kaum hatten sie sich versteckt, so schritt eine Anzahl Soldaten, von einem Unteroffizier geführt, herbei. Schon waren die Ersten vorüber, da bückte sich einer der Folgenden und hob den Zettel auf, den er dem Unteroffizier überreichte, nachdem er selbst einen Blick darauf geworfen hatte.
»Ah,« meinte dieser, »eine Entschädigung für den entgangenen Fang. Dieses Papier ist heut Nacht einem der Schmuggler entfallen und enthält den Befehl, die nächste Nacht am alten Schachte auf neue Ladung zu warten. Die Kerls gönnen sich wirklich keine Ruhe. Niemand wird sich über das Papier so freuen, wie der Herr Lieutenant!«
Sie setzten ihren Weg fort. Heiner hatte alles bemerkt und gehört und wunderte sich über das zufriedene Lächeln, welches über die harten Züge des Vaters glitt.
»Komm!« gebot dieser, jetzt wieder aus dem Tannengewirr tretend und von Neuem voran schreitend.
Eine halbe Stunde mochten sie so gegangen sein, als der Weg sich in eine Reihe von Steinbrüchen senkte, welche völlig ausgebeutet und darum verlassen waren. Die nackten, kahlen Steinmauern stiegen senkrecht zum Himmel empor, und schon wollte Heiner sich fragen, was der Vater hier mit ihm zu suchen habe, als dieser noch vor dem Eingang in die Brüche sich seitwärts wandte und die steile Lehne des Berges zu erklimmen begann. Dort oben lag ein stilles, verrufenes Fleckchen, »im Sonnenthau« genannt, von dem man sich erzählte, es sei da nicht geheuer, weil hier des Nachts die Seelen der in den Steinbrüchen Verunglückten umgingen. Den arglosen und leichtgläubigen Bewohnern der Umgegend lag der Gedanke fern, daß diese Seelen recht gut mit Fleisch und Blut begabt sein könnten. Man mied also den Ort geflissentlich, und nur wer von den medizinischen Wirkungen des Sonnenthau’s Gebrauch machen wollte, wagte sich am hellen Tage einmal auf einige Minuten empor.
»Im Sonnenthau« bestand aus einer schmalen, tiefen und feuchten Schlucht, deren Boden von hohem Wassermoos besetzt war, zwischen welchem in zahllosen Exemplaren das winzige Pflänzchen stand, welches ihr den Namen gegeben hatte. An den beiden Seiten liefen Brombeerranken und Farrenkräuter zwischen allerlei Gebüsch empor, unter dem sich einige wilde Hollunderbäume durch ihre Blüthendolden auszeichneten. Ein scharfer, durchdringender Geruch erfüllte den ganzen Platz, so daß Oppermann stehen blieb und nach der Ursache desselben suchte.
»Da sind ja dieselb’n Käfer wieder am Hollunder wie vor
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