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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ich net zur Thür hinein kann, und die Scheune, die hat der Knecht beim Schlafengeh’n verschlossen.«
    Nach kurzer Ueberlegung beschloß er, zunächst nachzuforschen, mit wie viel Gegnern er es zu thun habe; das Weitere konnte sich erst nachher ergeben. Sich mit der ganzen Körperlänge immer hart am Boden haltend, kroch er langsam vorwärts, und es dauerte bei dieser mühsamen Fortbewegung sehr lange, bis er die Umgebung abgesucht hatte und nun einen Entschluß fassen konnte. Er kehrte zu den Stämmen zurück.
    »Es ist der Bub’, der Wilhelm, und er ist ganz allein. Die Anderen steck’n sicher draußen und haben den Hof umzingelt. Ich muß hinein, und ich weiß, wie ich’s zu Stande bring’. Wart’, Spion, Du stehst mir recht, grad’ so recht, wie damals der Franz, Dein Path’, und diesmal soll’s net blos die Beine kosten! Der Franz ist net gescheidt im Kopf, und was der sagt, das gilt nix vor Gericht, und Du, Du sollst den Weg zum Amt schon gar net finden!«
    Damit ein zweites Unglück verhütet werde, hatte man den Stämmen hölzerne Keile als Unterlagen eingeschoben. Er bewegte sich lautlos bis an die Vorderseite des ersten Klotzes und strengte alle seine Kräfte an, sie zu entfernen. An dem einen Ende gelang ihm dies nur nach langer vergeblicher Mühe, an dem anderen aber war es nun leichter, denn der Stamm hatte jetzt den festen Halt verloren und konnte schon durch einen einigermaßen kräftigen Stoß aus dem Gleichgewichte gebracht werden. Anstatt diesen Stoß von der Gartenseite vorzunehmen, bückte sich Graf zu dem zweiten Keile nieder – ein fürchterlicher Schrei erscholl durch die Nacht – ein dumpfes Rollen ließ den Boden erzittern – ein schmetternder Schlag machte das Haus erbeben, grad’ wie in jener entsetzlichen Nacht, nur daß der Schrei heut’ vor dem Anpralle erfolgte – dann herrschte auf kurze Zeit eine lautlose Stille über dem verhängnißvollen Orte. – – –

4.
Gesühnte Schuld
    Der Winter war schon längst vergangen; der Frühling hatte seine Blüthenflocken bereits verschneit und es war Sommer geworden. Im Niederlande hatte man die Getreideernte bereits eingeheimst, im Gebirge aber wogte das goldene Aehrenmeer noch über die Felder, und nur hier oder da lag auf der Sonnenseite der Sommerroggen auf der Stoppel, um auf einige Tage gehörig nachzutrocknen.
    Es war wieder Sonnabend, aber nicht ein so kühler und düsterer, wie der im vorigen November, dessen Andenken noch nach so langer Zeit unter den Bewohnern des Dorfes die Frische seiner Farben nicht verloren hatte. Die Sonne war längst hinter den westlichen Bergen verschwunden, aber es lag noch immer warm und wohlig auf Wald und Feld, auf Flur und Dorf, und die Leute saßen nach vollendetem Abendbrode vor ihren Thüren, um sich den heimlichen Regungen hinzugeben, welche das Scheiden eines freundlichen Tages in jedem empfänglichen Menschenherzen hervorruft.
    Aus dem Forste trat ein junger Mann, der die hellen, munteren Augen liebevoll über das vor ihm liegende Thal gleiten ließ.
    »Grüß Gott, du altes gutes Nest da unt’n,« rief er fröhlich. »Da bin ich endlich und werd’ nun auch net gleich wieder fortgeh’n!«
    Es war Wilhelm. Der bekannte Quersack auf seiner Schulter ließ schließen, daß er wie damals aus der Garnison zurückkehre. Gar nicht weit von ihm war trotz der vorgerückten Stunde eine weibliche Gestalt noch im Klee beschäftigt.
    »Wer ist denn das? Ich glaub’ gar, das ist die Emma! Sie holt Futter für morg’n früh. Das ist doch Arbeit für das Gesind’ und net für die Tochter! Und warum hat man denn den Wagen net genommen?«
    Er schritt den Rain entlang und schlich sich vorsichtig bis hart an sie heran. Sie bemerkte sein Kommen nicht. Die Hände über ihre Augen legend, frug er mit verstellter Stimme:
    »Sag’, wer ist’s?«
    »Wilhelm!«
    »Errathen!« Er schlang den Arm um sie und zog sie an sich. »Willkommen, Emma! Wie geht’s?«
    Ihre Augen waren geröthet und an den Wimpern glänzte es feucht; sie hatte geweint.
    »Willkommen, Wilhelm! Du fragst, wie’s geht? Hast Du denn noch nix davon gehört?«
    »Was ist’s, von dem ich gehört haben soll? Ich glaub’ gar, Du weinst! Ist bei euch wieder ‘was Ungutes passirt?«
    »Es ist nix Neues, und Du weißt’s noch net, nur weil Du so weit von hier gewesen bist. Der Dukatenhof ist weg!«
    »Das ist doch nimmer möglich! Hat Dein Vater verkauft?«
    »Nein, noch schlimmer! Das Gericht hat ihn genommen; übermorgen ist die

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