Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
dessen Quell wohl schon seit langer Zeit versiegt war; je weiter er kam, desto größer wurde seine Vorsicht, und fast zitternd erhob er die Hand, um endlich einen Steinhaufen, welcher den Weg versperrte, zu betasten.
»Der Faden ist noch da, den ich darübergespannt habe; sie sind noch nicht dagewesen!« jubelte er innerlich. »Rasch hinein und schnell Alles verbrannt, was mir gefährlich ist!«
Mit der bisher beachteten Vorsicht war es vorbei. Rechts und links flogen die Steine zur Seite und es wurde eine Oeffnung frei, in welche er hineinkroch. Bald leuchtete ein greller Lichtschein auf und die angezündete Talgkerze erhellte einen Raum, dessen hintere Wand eine zweite Oeffnung zeigte. Der Mann ließ entsetzt das Licht fallen.
»Es ist leer. Sie sind von der anderen Seite hereingekommen und haben Alles mitgenommen! Das konnte ich mir gleich zuvor denken; der Hermann hat ja selbst das Loch gebaut unter der alten eingestürzten Brücke und weiß grad so gut Bescheid wie ich. Nun bin ich verloren, denn nun haben sie die Beweise! Doch nein, noch ist es Zeit, noch ist Rettung möglich! Sie sind ganz sicher mit den Sachen nach dem Forsthause. Ich springe nach; ich muß Alles wieder haben, was hier gewesen ist. Ich entreiße es Ihnen, und sollte ich dabei etwas thun vor dem sich Andere grauen!«
Er verließ das Versteck, nahm das zurückgelassene Gewehr wieder auf und eilte nun den Weg zurück, den er gekommen war. In kurzer Zeit lag jetzt das Dorf vor ihm; er ließ es seitwärts liegen und bog nach dem Blößenhause ein. Bei der Stelle angekommen, wo heute Hermann auf die Wiesenbäuerin gestoßen war, verweilte er einen kurzen Augenblick und stieß drohend das Gewehr auf den Boden.
»Ja, mir gilt es gleich, ob ich schießen muß oder nicht; es ist nicht schade um ihn. Ich thue es, wenn’s nöthig ist!«
Am Rande der Blöße legte er sich nieder und kroch vollständig geräuschlos bis an die hintere Seite des Hauses, welche im Schatten lag. Hier blieb er einige Augenblicke ruhig und bewegungslos.
»Nun gilt es, zehnfach Achtung geben! Der Hermann will mich in der Stube fangen und kann mir darum wohl gar hier eine Falle bereitet haben. Wir wollen sehen, wer der Schlaueste von uns Beiden ist!«
Niemand hatte ihn bemerkt. Er erhob sich an einem der Fenster und legte das Auge an eine Ladenspalte, durch welche ein schmaler Lichtstreifen schimmerte. Hiebei bemerkte er, daß der Laden nicht geschlossen, sondern nur angelehnt war.
»Das sind mir die Rechten; nehmen es mit dem ›Samiel‹ auf und vergessen, die Fenster zu schließen! Ja, da sitzen sie, der Hermann und der Förster, und meine Sachen liegen daneben auf der Erde. Die Unvorsichtigen haben gar ihren Rücken gegen das Fenster gekehrt, so daß sie mich überhaupt nicht bemerken können. Jetzt gilt es! – – Soll ich schießen – –? Ja, ich schieße – ich muß ja, wenn ich nicht in das Zuchthaus will!«
Er nahm langsam und noch zögernd das Gewehr empor.
»Jetzt stehe ich zwischen Tod und Leben, zwischen Himmel und Hölle! Ist mir’s wirklich gleich, was ich thue? Erst wollte ich nur den Förster von der Stelle treiben, des Vaters halber und auch von wegen dem Hermann und der Pauline. Kann ich dafür, daß es weiter geht? Was sagte er denn heut? Ich hätte den Teufel in der Seele, der mich zum Bösen treibt? Nein, Lakai, nicht den Teufel, sondern Dich habe ich in der Seele, Du bist an Allem Schuld, Du allein treibst mich immer tiefer in das Böse hinein und hast es auch jetzt nicht anders gewollt! Fahre hin, Du und der Alte dort – – ich schieß!«
Er zog den Laden so weit als nöthig herüber und, ohne in seiner Aufregung die im Zimmer Sitzenden nochmals genauer anzusehen, legte er schnell an. Im selben Augenblicke krachte auch ein Schuß durch die lautlose Nacht, noch einer – – – ein schallendes Gelächter ertönte hinter ihm.
»Seit wann schießt der gewaltige ›Samiel‹ denn auf Puppen statt auf Zwölfer? Diese Art von Wild treffe ich mit meiner Hollunderflinte wohl auch!«
Der Schütze stand da, das Gewehr noch im Anschlage, und starrte mit weit aufgerissenem Auge den Förster an. Ein Zweiter trat hinzu und zog ihm den tief hereingedrückten Hut vom Kopfe. Hermann war es.
»Der ›Samiel‹ trägt ja Locken grad wie die Wiesenbäuerin! Nimm den Bart weg, Lisbeth!«
Ein Schrei, so furchtbar und entsetzlich, als stoße ihn ein wildes Thier in der größten Todesnoth aus, entrang sich der Brust des entlarvten Weibes; dann ließ sie
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