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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und ihr Söhnchen war nach einiger Zeit von Gemeinde wegen an einen armen kinderlosen Flickschuster als den Mindestfordernden versteigert worden. Dieser hatte sich des Verwaisten in väterlicher Liebe angenommen, ihn in seinem Handwerke unterrichtet und ihm dann auch nach seinem Tode das alte Häuschen hinterlassen, an dessen Stelle der herangewachsene Findling, den der Volksmund in Beziehung auf seine Abstammung und die politischen Ereignisse, unter denen er in das Dorf gekommen war, nur den »Bonapartenschuster« nannte, später das jetzige erbaute.
    Während er sich im Laufe der Zeit ein zwar kleines, aber freundliches und musterhaft bewirthetes Besitzthum zusammengerundet hatte, war es mit Kaisers schneller vorwärts gegangen. Die früher nur mäßige Wohlhabenheit der Familie war in solcher Kürze zu einem offen zur Schau getragenen Reichthum geworden, daß sich die Nachbarn diese Veränderung nicht mit gewöhnlichen Gründen zu erklären vermochten. Hier mußte ein ganz besonderer Umstand obgewaltet haben, und da man keinen anderen kannte, so sprach man erst heimlich und sodann offener davon, daß die Habe jener verstorbenen Französin wohl bedeutender gewesen sei, als Kaiser angegeben hatte. Auf diese Vermuthung hindeutend, nannten die Dorfbewohner, wenn der alte Kaiser es nicht hörte, seine Besitzung auch wohl den »Franzosenhof«.
    Wilhelm, der junge Kaiserbauer, kannte dieses Gerücht, es war zu alt und zu tief eingewurzelt, als daß es ihm hätte entgehen können, aber niemals hatte er mit solchem Ernste daran gedacht als jetzt, wo er aus Rücksicht auf das leidige Vermögen zu einem Schritte gezwungen werden sollte, von dem er fühlte, daß er ihm nie Heil und Segen bringen werde. Hatten die Leute die Wahrheit errathen, so war ja der Reichthum des Vaters ein unrechtmäßig erworbener, und wer war der rechtliche Besitzer? Niemand anders als der »Bonapartenschuster«, der Vater der hübschen Bertha, die neben ihm aufgewachsen und seine Schulkameradin gewesen war. Er mußte jetzt immer und immer wieder hinüberblicken zu ihr, und je länger er sie betrachtete, desto fester wurde sein Entschluß, die geplante Verbindung von sich abzuweisen, es koste was es wolle.
    »Warum stehst Du hier und bleibst nicht drin in der Stube, wo Du hingehörst?« frug die Stimme des Vaters neben ihm.
    »Was hab’ ich in der Stube zu suchen?«
    »So! Du weißt wohl plötzlich gar nicht mehr, weshalb ich die Gäste eigentlich geladen hab’?«
    »Das weiß ich schon; aber warum grad auch ich mit dabei sein soll, das will mir nicht einleuchten. Die Margreth braucht mir zu viel Platz; ich bleib’ hier im Garten.«
    »Das klingt ja ganz wunderschön! Der Kaiserbauer ist gar nicht mehr Herr im Hause; sein Bub’ macht, was er will, und führt den Trotz spazieren.«
    »Nein, Vater, das hab’ ich niemals nicht versucht und möcht’s auch nimmer thun. Nun aber hat Dich der Pfiffikus, der Steinmüller, bethört mit schönen Reden, weil ihm das Wasser an der Kehle steht und er sich nicht mehr anders zu helfen weiß. Er hat schlecht gewirthschaftet, und Du gehst in das Garn, weil er den Vornehmen spielt und das Fräulein Gretchen Dich hübsch am Barte zupft. Du kommst nicht aus dem Hause und hörst nichts von dem, was sich die Leut’ von ihm erzählen, er macht Dir ein X für ein U; ich laß mich aber nicht als Flicklappen auf dem Steinmüller seine Mehlsäcke setzen, die er noch nicht bezahlt hat, obgleich sie schon längst zerrissen sind!«
    »Mach’ mir nur keine Faxen vor! Wie’s mit dem Müller steht, darüber braucht mich gar Niemand zu belehren; ich hab’ mir die Aecker besehen, die Wiesen und Gärten, das Hausgrundstück und auch die Bücher, die er führt; er ist ein reicher Mann, fast reicher noch als ich, und Du nimmst die Margreth. Am Nachmittag geht’s zum Tanz und heut über die Woche ist die Verlobung. Mach’s anders, wenn Du kannst. Jetzt aber geh’ hinein und schick’ ihn zu mir in die Oberstub’!«
    Er war gewohnt, daß jedes seiner Worte Geltung finde, darum überzeugte er sich auch gar nicht erst, ob dem letzteren Befehle Gehorsam geleistet werde, sondern kehrte stracks in das Haus zurück. Dort begab er sich in das bezeichnete Zimmer und trat zu einer alten, mit zierlichem Schnitzwerke versehenen Wanduhr, welche er öffnete. Sie war jedenfalls ein Erb-und Familienstück und hatte wohl schon oft zu geheimen Zwecken gedient, wie ihr Inneres bewies, welches das eigentliche Uhrwerk und neben demselben ein

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