Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Hausvater der schmucken Tochter zugenickt, faltete diese die Hände und betete:
»Komm, Herr Jesus, sei unser Gast,
Und segne, was Du bescheeret hast.
Amen, in Gottes Namen!«
»Heute mag es bei Kaisers hoch hergeh’n!« bemerkte die Mutter, als das Klappern der Löffel und Messer etwas nachzulassen begann. »Wenn der Beutel so groß ist und voll, wie bei denen, so kann man sich bei der Brautschau schon sehen lassen. Aber, Bertha, Du willst heute wohl gar nichts essen?«
Das Mädchen senkte das Köpfchen tiefer über den fast noch unberührten Teller und schwieg. Der Vater überhob sie einer Antwort:
»Die richtige vornehme Frau bekommt der Wilhelm, das muß man sagen. Und fest scheint die Sache auch schon zu sein, denn sie ist ja schon gleich in der Kirche gewesen und hat mit ihrem Seidenstaate dagesessen wie die Prinzeß von ›Schautmichan‹.«
Man sah es dem offenen Gesichte des Sprechers an, daß nicht der Neid ihm diese Worte in den Mund gelegt hatte. Der tiefe Mißmuth, welcher ihn überkam, so oft von seinem Nachbar, dem Kaiserbauer, die Rede war, hatte einen ganz anderen Grund, einen Grund, der weit, weit in die Vergangenheit zurückgriff und auf Ereignissen beruhte, über denen der Schleier der Verborgenheit ausgebreitet lag. –
Indessen saß drüben in dem Kaiserhofe das Gesinde in der Knechtestube bereits beim Essen, in dem Staatszimmer war nun auch angerichtet und der Hausherr erhob seine schwere Gestalt aus dem Polster des schwellenden Sopha’s, auf welchem er mit der zukünftigen Schwiegertochter gesessen hatte.
»Na, da kommt, setzt Euch her und laßt’s Euch schmecken! Steinmüller, Du hast mich brav ausgefüttert, als ich bei Dir zum Anspruch war; nun sieh’, ob der Kaiserhof auch ‘was leisten kann! Aber wo bleibt denn der Wilhelm?«
Der Genannte, sein einziger Sohn und Erbe, erschien erst nach längerem Suchen und Rufen und machte Miene, sich neben der Mutter niederzulassen.
»Halt, Bursch’,« gebot Kaiser; »heut ist Dein Platz ein anderer. Geh’ her zum Fräulein Gretchen und thu’ nicht, als könntest Du kein Mädel grade anschauen!«
Erst auf den besorgten Blick, welchen ihm die Bäuerin zuwarf, gehorchte dieser, aber obgleich seine Nachbarin sich alle mögliche Mühe gab, liebenswürdig zu scheinen, widmete er ihr nur die allernothwendigste Aufmerksamkeit, sah ernst und wortkarg vor sich nieder, und wie ein Teller da drüben im kleinen Häuschen, so wollte auch der seinige nicht leer werden. Trotz der zornigen Winke, welche der Vater ihm verstohlen gab, war er der Erste, welcher sich erhob und das Zimmer verließ.
»Hör’, Kaiser,« gab der Müller seinem Unmuthe Ausdruck, »der Junge will mir nicht gefallen. Er ist doch ein Bursch’, der sich sehen lassen kann; also warum thut er denn so zimperlich mit meiner Gret’? Die Steinmühle wird nicht viel geringer sein als der Kaiserhof, und meine Tochter darf nur die Hände hinaus thun, so hängt gleich an jedem Finger Einer. Das sollte der Wilhelm doch wissen!«
»Brauchst Dich nicht so in Eifer hinein zu reden, Steinmüller. Er ist sonst immer bei der Spritz’ und hat ganz Alles auf der rechten Stelle, aber mit der Gret’ scheint er eben noch ein wenig zaghaft zu sein. Trink’ nur immer weiter, ich bin gleich wieder da!«
Er stand auf und ging hinaus, um den Sohn zu suchen. Dieser stand hinter der Gartenhecke und beobachtete über die Straße hinweg Bertha, welche jetzt drüben mit dem Strickstrumpfe am geöffneten Fenster saß. Ihr Gesicht schaute wie ein liebliches Gemälde aus dem Rahmen hervor; es hatte, nur in weicheren Linien, denselben fremdartigen Schnitt, welcher die südliche Abstammung ihres Vaters verrieth. – –
Als 1813 die Franzosen unter Vandamme bei Kulm und Nollendorf von den Verbündeten geschlagen waren, hatten viele der Fliehenden ihren Weg über das Gebirge genommen und bei den freundlichen Dörflern wohlwollende Aufnahme und Pflege gefunden. Eines Abends war der Vater des jetzigen Kaiserbauers von einem französischen Sergeanten herausgeklopft und zu einem Wagen geführt worden, in welchem eine kranke Frau mit einem kleinen Knaben gelegen hatte. Auf das Zureden seiner Frau war er bereit gewesen, die Obdachlose aufzunehmen; dann hatte sich der Soldat entfernt und vorher in einem kaum verständlichen Deutsch zu verstehen gegeben, daß er gehen wolle, um seinen Herrn, einen hohen Offizier, zu suchen. Er war jedoch niemals zurückgekehrt. Die Kranke hatte nur noch wenige Tage gelebt
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