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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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derselbe Gedanke: Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben, ich will nicht sterben.
    Noch machten die Männer keine Anstalten, sie zu töten, sondern musterten sie lediglich.
    Pablo war der Erste, der die Sprache wiederfand. »Schaut euch ihr Kleid an!«
    Zunächst begriff sie nicht, was diese Worte verhießen, aber als sie den aufdringlichen Blicken folgte, die ihre Gestalt taxierten, erkannte sie, dass ihr elegantes Kleid für die Oper sie als Tochter einer wohlhabenden Familie auswies und die Männer davon abhielt, augenblicklich über sie herzufallen.
    Sie rang nach Worten. »Bitte, tut mir nichts!«
    Die Gesichter blieben ausdruckslos. Sie suchte den Blick von jenem, der sich zuvor mit seinem Bruder angelegt hatte und auf den Namen Valentín hörte. Seine Augen waren wie Kohle und ließen nicht das geringste Mitleid erkennen.
    Sie wiederholte dennoch flehentlich: »Tut mir nichts, lasst mich gehen!« Dann setzte sie hastig hinzu: »Ich bin die Enkeltochter von Alejandro de la Vegas.«
    Sie biss sich auf die Lippen, kaum dass sie es gesagt hatte, und ahnte, dass sie den größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte.
    Jener Pablo trat auf sie zu.
    »Hört, hört, Alejandro de la Vegas’ Enkeltochter.«
    Sie sah das Glitzern in den Augen – ähnliches Glitzern, das wohl eben noch darin gestanden hatte, als er die vielen Waffen entdeckt hatte. Unter Umständen war sie sogar noch kostbarer als jedes Gewehr.
    Valeria nutzte ihre letzte Chance und rannte los. Die Männer hatten sie zwar umstellt, aber den Kreis nicht geschlossen, sondern eine winzige Lücke gelassen. Sie wiederum war so dünn, dass sie sich mühelos an zwei Männern vorbeidrängen konnte. Deren Hände griffen ins Leere – schon hatte sie die Tür erreicht. Doch ehe sie ins Freie stürzen konnte, wurde sie gepackt und zurückgerissen. Noch legte sich keine Hand auf ihren Mund. Noch konnte sie laut schreien: »Helft mir! So helft mir doch!«
    Doch ihre Stimme wurde vom lauten Heulen des Windes übertönt. Vorhin hatte es noch keine Anzeichen gegeben, dass einer jener Stürme aufzog, die so häufig über Montevideo hinwegzogen – sogenannte Pamperos, die Unmengen von Sand und Staub durch Fenster- und Türritzen in die Häuser trieben. Nun war das Heulen des Sturms die einzige Antwort auf ihre Hilferufe – dann spürte sie schon schwielige Finger vor ihren Lippen und die Klinge eines Messers an ihrer Kehle. Es war kalt, so schrecklich kalt.
    »Noch einen Mucks – und du bist tot.«
    Der Drang, nach Hilfe zu rufen, war beinahe übermächtig. Doch wieder ging ihr durch den Kopf: Ich will nicht sterben, und sie biss die Zähne zusammen.

16. Kapitel
    A ls Claire erwachte, wusste sie kurz nicht, wo sie war. Seit ihrer Ankunft in Montevideo musste sie sich am Morgen stets aufs Neue erinnern, dass sie nicht länger mit ihrem Vater in Hamburg lebte. Heute durchflutete sie ein noch freudigeres Gefühl als sonst, als sie im Hier und Jetzt ankam. Montevideo war nicht länger nur die fremde Stadt, die so viel Neues und Abenteuerliches verhieß – nein, es war Luis’ Stadt, und sie würde ihn bald wiedersehen!
    Claire lächelte breit, doch ihr Lächeln schwand, als ihr Blick auf Valerias Bett fiel. Es war leer – und unberührt.
    Ruckartig fuhr sie hoch.
    Gestern Abend war sie gerade noch rechtzeitig während des Schlussapplauses in die Loge gehuscht. Als ihr Vater nach Valeria gefragt hatte, hatte sie auf Kopfschmerzen verwiesen, die diese geplagt und dazu veranlasst hätten, frühzeitig nach Hause zu fahren. Wie so oft hatte Carl-Theodor irritiert die Stirn krausgezogen, doch es war für ihn wenig überraschend, dass sich Valeria in der Oper langweilte, ganz offensichtlich eine Ausrede gesucht und einmal mehr ihre Cousine dafür eingespannt hatte. Claire hatte sich ihrerseits Sorgen gemacht, als während der Heimfahrt der Sturm losbrach, und noch mehr, als sie Valeria nicht in ihrem Zimmer angetroffen hatte. Doch während sie in ihrem Bett auf sie wartete, hatte sie der Schlaf übermannt. Wie es aussah, war sie die ganze Nacht nicht heimgekommen …
    Voller Sorge verließ Claire das Zimmer und vergaß, einen Morgenmantel über das Nachthemd anzuziehen. Sie wurde sich dessen erst bewusst, als sie im Salon auf die versammelte Familie traf, doch wie sie hatten sich auch die anderen nicht angekleidet. Julio trug einen Schlafmantel, Leonora eine Schlafhaube, Isabella ein dünnes Nachthemd. Alejandro hatte sich über sein Schlafgewand einen Frack

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