Die Rosen von Montevideo
Ritzen fiel und den Inhalt der Kisten offenbarte, zuckte ihre Hand zurück.
»Du lieber Himmel!«
Was Julio da heimlich aufbewahrte, waren keine Luxuswaren, sondern … Waffen – neben Gewehren auch Handgranaten und Pistolen.
Valeria hatte dergleichen selten gesehen und noch nie berührt.
Waffen … Waffen für den Krieg …
Auch wenn sie Alejandros wüsten Schreiorgien kaum Beachtung geschenkt hatte, wusste sie doch, dass nach den ersten Schlachten gegen Paraguay und dem dortigen Diktator Francisco Solano Lopez eine Waffenpause eingetreten war. Diese war entweder zu Ende oder würde es demnächst sein – und für diesen Fall hatte Julio vorgesorgt. Wahrscheinlich ließ sich mit Waffen sogar ungleich mehr Geld machen als mit feinen Stoffen.
Eine Weile hockte Valeria wie erstarrt da. Bilder von blutbefleckten Menschen stiegen vor ihr auf, schon reglos mit erstarrtem Blick oder sich im Todeskampf windend, allesamt von Kugeln getroffen, die aus diesen Gewehren stammten. Es war eine Welt, wie sie sie nicht kannte, eine Welt, mit der sie auch nichts zu tun haben wollte.
Erschaudernd schloss sie die Kiste wieder und wollte die Halle verlassen, doch ehe sie aufgestanden war, hörte sie vom Eingang her plötzlich Geräusche – erst nur Schritte, dann Stimmen.
Hatte jemand gesehen, dass sie die Oper verlassen hatte, und war ihr gefolgt?
Sie wähnte schon Onkel Julios strengen Blick auf sich ruhen, doch die Stimmen klangen allesamt fremd. Es waren mehrere Männer, die durcheinanderredeten, und sie sprachen in einem so starken Akzent, dass sie nur wenige Worte verstand.
»… Tor offen …«
»… könnte eine Falle sein.«
»Ach was, niemand weiß, was wir planen.«
»Los, komm!«
Gerade noch im letzten Augenblick duckte sich Valeria, robbte hastig in eine Ecke und versteckte sich dort hinter einer Kiste. Die Schritte kamen näher. Mit klopfendem Herzen spähte sie hervor und zählte sieben Männer, die die Lagerhalle betraten.
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte einer.
»Das werden wir gleich sehen.«
Sie hörte, wie eine der Kisten aufgebrochen wurde – ungleich schneller, als sie das vorhin getan hatte. Irgendjemand entzündete ein Feuer, und bald erhellte der warme Schein einer Öllampe die Halle. Die Männer waren gefährlich nahe. Valeria hielt den Atem an, machte sich noch kleiner und kroch dann auf allen vieren in die nächste Ecke, wo sie sich hinter einer noch größeren Kiste verstecken konnte.
Wer waren diese Fremden? Was hatten sie hier zu suchen?
Sie konnte nicht viel von ihnen erkennen, nur dass sie dunkle, einfache Kleidung trugen und ihre Gesichter vor Dreck starrten. Sie hatten nichts gemein mit den eleganten Herren, die im Frack die Oper besuchten. Und ihr Akzent verriet, dass sie nicht aus Uruguay stammten.
Triumphgeschrei hallte von den Wänden, als sie die erste Kiste öffneten.
»Wusste ich’s doch! Der alte Fuchs hat tatsächlich Waffen aus Frankreich herschaffen lassen.«
»Waffen, um Paraguayer abzuschlachten.«
»Wollen wir mal sehen, wer hier wen abschlachtet.«
»Beeilt euch! Wir haben nicht viel Zeit. Wenn man uns hier erwischt, ist es aus mit uns.«
Die Worte gingen in Krachen unter, als noch mehr Kisten gewaltsam aufgebrochen wurden.
Valeria schlug unwillkürlich die Hände vors Gesicht, als könnte sie sich auf diese Weise unsichtbar machen. Auch wenn sie Alejandro nur selten aufmerksam zugehört hatte, hatte sie noch gut in Erinnerung, wie er die Paraguayer als Tiere beschimpft hatte.
Tiere waren diese Männer nicht, aber gefährliche Feinde, die aus dem Nachbarland gekommen waren, um ihren Onkel zu bestehlen. Gnade ihr Gott, wenn sie sie hier entdeckten!
Sie nahm die Hände wieder vom Gesicht und sah sich verzweifelt nach einem besseren Versteck um.
»Großartig, es sind viel mehr Waffen, als ich dachte!«
Weitere Kisten wurden aufgebrochen – und Valeria nutzte den Lärm, um auf allen vieren noch weiter fortzukriechen. Sie hatte bald den hintersten Winkel der Halle erreicht, während die Männer laut ihr Diebesgut benannten: Gewehre samt Bajonett waren darunter, Minié-Gewehre, Zündkapsel-Gewehre, Pistolen und kurze Säbel.
Valeria brach der Schweiß aus. Wenn sie nach und nach alle Kisten aufbrechen würden, würden sie sie irgendwann aufstöbern.
Sie sah sich hilfesuchend um, aber es war zu dunkel, um zu erkennen, ob hier vielleicht ein weiterer Ausgang ins Freie führte. Und selbst wenn, er wäre ja doch verschlossen
Weitere Kostenlose Bücher