Die Rosen von Montevideo
dass Luis Silveira ein überaus korrekter, pflichtbewusster Mann war.
»Der Polizeidirektor selbst hat mich auf Wunsch von Señor de la Vegas vom Dienst freigestellt, damit ich Ihre Tochter begleiten kann«, erklärte Luis.
»Meinetwegen«, gab Carl-Theodor schließlich widerstrebend nach, wandte sich dann aber noch einmal an die Tochter. »Ich verstehe ja, dass du die Ungewissheit nicht länger erträgst«, ermahnte er eindringlich. »Aber was immer du tust, bring dich nicht in Gefahr!«
»Du weißt doch, Vater – von uns beiden war es im Zweifelsfall immer Valeria, die sich in Gefahr brachte, niemals ich.« Claire versuchte zu lächeln, aber stattdessen stiegen ihr Tränen in die Augen.
Sie verließen Montevideo über die Altstadt. Die Straße, auf die man auf Höhe der Markthalle abbog, führte über einen steilen, kahlen Felshang zu einer Sandebene hin. Hier wurden öfter die Pferderennen veranstaltet, die Julio de la Vegas so liebte, doch heute war der Platz verwaist. Auf dem sandigen Küstenrand standen aneinandergereiht einfache, heruntergekommene Häuser, ein Großteil davon Schankstuben. Morgens waren sie zwar allesamt verschlossen, dennoch hing der unangenehme Geruch nach Branntwein in der Luft, den auch die salzige Brise, die vom Meer her wehte, nicht vertreiben konnte.
Claire hatte eine Kutsche bestiegen – eine sogenannte Diligence: Es war ein solide gebauter Wagen mit Cabriolet, Coupé und Rotunde, in dem eigentlich zwölf Personen Platz fanden, der nun aber nur zur Hälfte besetzt war. Luis ritt neben der Kutsche her.
Claire blickte häufig aus dem Fenster und suchte seinen Blick, doch er gab vor, nur auf den Weg zu achten, und sie betrachtete ihrerseits mit gewisser Neugierde die Landschaft. Das Meer spiegelte den Cerro de Montevideo, in der Ferne lag die von Gischt umtoste kleine Isla dos Ratos. Auf das flache Sandufer folgte eine hohe Sandterrasse, und hier nahm eine gerade Straße ihren Anfang, die zur Vorstadt von Montevideo führte. Etwa eine Stunde nach ihrem Aufbruch erreichten sie die Landhäuser mit den üppigen Gärten, Quintas genannt, wo die Reichen ihren Sommersitz hatten. Manche waren halb verfallen, andere neu erbaut; die Wege, die sie verbanden, waren staubig und voller Sand. Claire erinnerte sich, dass sich auch Julio des Besitzes eines solchen Hauses gerühmt und Leonora einen Ausflug dorthin in Aussicht gestellt hatte, doch nun war alles anders gekommen.
Claire seufzte. Wie gerne wäre sie mit Valeria hier! Wie gerne würde sie mit ihr dieses fremde Land erkunden!
Auf das letzte Haus folgte eine öde, mit niedrigem Gras bewachsene, baumlose Ebene, wo nichts als Unkraut wie Fenchel und Kardendistel wuchs. Scharen von rotbrüstigen Staren stoben in die Luft, wenn ihr Gefährt vorbeirollte, große Herden Rindvieh und Pferde glotzten ihnen nach. Der Großteil des Landes lag brach, nur selten stießen sie auf kleine Gehöfte, an denen sich eingezäunte Flächen anschlossen – Gemüsegärten, in denen Erbsen, Schnittbohnen und Kartoffeln, Kohl, Salat und Mohrrüben angebaut wurden.
So farblos, grau und eintönig das Land auch anmutete – Claire war von der Weite und Einsamkeit fasziniert, doch alsbald wurde ihr der Blick aus dem Gefährt verleidet: In der Nähe der Stadt hatten sie noch Straßen befahren, doch hier verkamen sie zu immer schmaleren Wegen, von denen die meisten mit Gras überwuchert waren. Auch wenn sie nur selten auf Hindernisse stießen, die es mühsam zu überrunden galt – große Äste und Steine –, war der Boden uneben. Es rüttelte entsetzlich, Claire musste sich festhalten, um nicht durch die Kutsche zu fliegen, und ihr Gesäß fühlte sich bald an, als hätte sie eine Tracht Prügel erhalten. Die Diligence war zwar schneller als ein Ochsenkarren oder die Reisechaise – so legte man mit diesem den Weg von Montevideo nach Mercedes, einer größeren Stadt im Westen, in drei Tagen zurück –, aber dafür furchtbar unbequem.
Zunehmend unerträglich wurde überdies das Geschrei, das sie auf der Reise begleitete: Insgesamt sieben Pferde zogen das Gefährt – vier in der ersten Reihe nebeneinander, zwei davor und eins an der Spitze –, und während sie schaumspuckend trabten, wurden sie von einem Knecht, der auf dem vordersten ritt, mit stetem Rufen angetrieben. Er zögerte auch nicht, mit der großen Hetzpeitsche nahezu pausenlos auf die Tiere einzudreschen.
Claire war inzwischen darüber erbost, wie schlecht man mit den Pferden umging, umso
Weitere Kostenlose Bücher