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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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leichenblass war.
    »Valeria, geht es dir gut? Bist du getroffen worden?«
    Er tastete ihren Körper ab, und sie war zu aufgewühlt, es ihm zu verbieten.
    »Blut …«, stammelte er heiser, »da ist so viel Blut …«
    »Es ist nicht von mir, sondern von Jorge.«
    Er seufzte laut. Warum schockierte es ihn derart, dass sie womöglich getroffen worden war? Und wo waren die Soldaten?
    Endlich wehrte sie sich gegen seinen Griff, doch während Valentín zurücktrat, war da plötzlich Pablo, packte sie und zerrte sie mit sich.
    »Was steht ihr da herum? Schnell! Wir haben keine Zeit zu verlieren! Wegen diesem Hurensohn hätten sie uns fast erwischt! Wenn wir nicht die vielen Waffen gehabt hätten – wir wären verloren gewesen! Was für eine sinnlose Verschwendung von Munition.«
    Eben noch hatte das Grauen sie überwältigt, doch als Pablo sie unsanft in den Schatten der Bäume zog, fühlte Valeria nichts mehr – keine Schmerzen, keine Angst, keine Enttäuschung, weil ihre letzte Chance, zu fliehen, ungenützt geblieben war. Wie aus weiter Ferne vernahm sie die Stimmen der Männer, die aufgeregt besprachen, wie Jorge es wagen konnte, ihnen in den Rücken zu fallen, wie viele Soldaten sie erschossen hatten, wie knapp sie davongekommen waren.
    Valeria verstand alle Worte, aber keines schien mit ihr zu tun zu haben. In ihr wurde es immer kälter, und sie fühlte nicht einmal Erleichterung, weil Pablo sie losließ und in seiner Furcht nicht daran dachte, sie für den Fluchtversuch zu bestrafen. Kaum merkte sie, wie Valentín sie vor sich aufs Pferd hob und ihm die Sporen gab.
    Stundenlang ritten sie durch die Nacht, doch als der Morgen graute, vermeinte sie, dass nur die Dauer eines Wimpernschlags vergangen war. Kurz war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob die Ereignisse der letzten Nacht real oder ein schrecklicher Alptraum gewesen waren. Doch dann sah sie, dass ihre Kleidung mit Blut befleckt war. Sie schrie auf und fing zu zittern an.
    »Schscht«, machte Valentín, »ruhig, ganz ruhig, es ist doch vorbei …«
    Am liebsten hätte sie sich die Kleidung vom Körper gerissen, aber das konnte sie nicht, konnte nur immer weiterzittern. Als die Sonne sie wärmte und das Zittern endlich nachließ, prasselten sämtliche Gefühle, die in der Nacht wie abgestorben gewesen waren, auf sie ein. Wie sollte sie es ertragen – den Gedanken, dass ihr Schicksal besiegelt war, dass sie unter einem Toten gelegen hatte, dass Claire womöglich verletzt war, vielleicht sogar tot!
    Aber sie ertrug es ja, sie atmete weiter, sie hatte ihre Sprache nicht verloren, sondern drehte sich zu Valentín um und fragte: »Du warst so entsetzt, als du Jorge von mir gewälzt hast, warum nur? Ich bin eine Fremde für dich, was ficht es dich an, ob ich lebe oder tot bin?«
    Im Sonnenlicht sah sie, dass seine Haut noch immer fahl war und in seinem Blick Grauen stand … nacktes, tiefes, größeres Grauen, als es die Ereignisse der letzten Nacht geboten.
    »Dein Anblick erinnerte mich … erinnerte mich …« Er brach ab.
    »An andere tote Frauen, die du in deinem Leben gesehen hast«, schloss sie.
    Er nickte.
    »Wer waren sie?«
    Er rieb seine Lippen aufeinander, rang um Worte, brachte aber keines hervor, und ihr fiel wieder ein, dass er einmal gesagt hatte, nur noch Pablo zu haben.
    Sie öffnete den Mund, wollte ihn weiter bedrängen. Auch wenn es sie nichts anging, was er durchlitten hatte – es war leichter, sich seinem Grauen zu stellen als dem eigenen. Doch bevor sie etwas sagen konnte, schrie Pablo den Männern einen Befehl zu. Offenbar wollte er noch eine letzte Rast einlegen, ehe sie die Grenze überschritten – erst die nach Argentinien, wenig später die nach Paraguay – und sie endgültig im Feindesland gefangen war.

18. Kapitel
    A m nächsten Tag betraten sie erstmals argentinischen Boden, und nach einer knappen Woche überquerten sie den Río Paraná, um nach Paraguay zu gelangen. Auf den ersten Blick war das Land, in das sie verschleppt wurde, flach und karg wie Uruguay, doch die Wälder schienen nicht nur großflächiger, sondern auch feuchter. Wenn sie am Abend um das Lagerfeuer saßen, drangen durch die Stille Geräusche von Tieren, die Valeria noch nie gehört hatte. Neben dem Glöcklein der Madrina hörte man den klagenden Ruf des Rebhuhns, das Gurren der Nachteule, das Gebell eines Fuchses, schließlich ein eigentümliches Pfeifen, das, wie Valentín ihr erklärte, von einem Tapir stammte. Einmal ertönte beängstigendes

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