Die Rosen von Montevideo
Gebrüll.
»Womöglich ist das ein Jaguar«, murmelte Valentín.
Die vielen fremden Laute setzten ihr zu, doch das stete Schweigen, in das die Männer versunken waren, war fast noch schwerer zu ertragen.
Pablos Erschütterung über Jorges Verrat schien tief zu sitzen, auch wenn er sie zu verbergen versuchte und das strikte Verbot aufstellte, seinen Namen jemals wieder auszusprechen. Er wirkte nervöser als sonst, angespannt und gefährlich wie ein hungriges Raubtier, ließ sie aber immerhin in Ruhe. Tshepo und Ruben schienen ehrlich um Jorge zu trauern, denn ihre Augen glänzten oft feucht. Valentín wirkte blasser und nachdenklicher als sonst, und obwohl er es nicht offen aussprach – Valeria war sicher, dass sein Entsetzen nicht allein von Jorges Tod rührte als vielmehr von dem Anblick, den sie geboten hatte, als sie blutüberströmt unter ihm lag. Dieser hatte Erinnerungen geweckt, die ihn nun nicht mehr losließen, und wenn er abends nachdenklich in die Flammen starrte, schien er mit seinen Gedanken unendlich weit weg zu sein.
Wie traurig er aussieht, dachte Valeria manchmal – um sich gleich darauf zu ermahnen, dass sie sein Gemütszustand nichts anging, Mitleid mit einem wie ihm fehl am Platz war und sich ihre Sorge auf die eigene aussichtslose Lage beschränken sollte.
Eines Abends stierte er nicht in die Flammen, sondern zog einen hölzernen Gegenstand aus seinem Lederbeutel. Valeria erkannte erst nicht, was es war, aber dann vermischten sich mit den unheimlichen Rufen der Tiere plötzlich wunderschöne Laute. Sie klangen so weich, so zart, so sehnsuchtsvoll, und Valeria hatte das Gefühl, als würden geschmeidige Hände über ihre Seele streicheln.
Sie betrachtete das Instrument in seinen Händen. Es glich einer Gitarre, doch als Valentín ihren Blick bemerkte, ließ er es sinken und erklärte: »Das ist eine hölzerne Harfe, wie es sie nur in Paraguay gibt. Sie ist aus Zedernholz gemacht und zählt ganze sechsunddreißig Saiten.«
Mühelos fuhr er fort, diese zu zupfen, und nach einer Weile begann er, zu den Klängen zu singen. Manche Lieder trug er mit einer sehr stolzen, tiefen Stimme vor – es waren, soweit Valeria sie verstand, Hymnen aufs Vaterland –, andere, vor allem Liebeslieder, sang er flüsternd und voller Melancholie.
Valeria lauschte gebannt. Sie hatte sich nie für die Oper begeistern können, und die Klavierstunden im Pensionat waren ihr eine stete Qual gewesen, weil sie es hasste, still zu sitzen, aber diese Töne trafen sie im Innersten. Musik war eine Sprache, die jeder verstand – und kurz fühlte sie sich nicht schutzlos inmitten von Feinden, sondern mit Menschen vereint, die insgeheim die Hoffnung hegten, dass die Welt mehr zu bieten hatte als Kämpfe, Verrat und Tod und dass es sich noch lohnte, zu lieben und zu träumen. Sie bemerkte, dass alle zuhorchten: Die Augen des Schwarzen glänzten feucht, der grausame Zug um Pablos Mund glättete sich, der Indianer klatschte dann und wann mit seinen Händen im Rhythmus der Lieder. Ruben und Pío blickten so versunken aufs Feuer, wie es bisher nur Valentín getan hatte.
Auch wenn Valentín ihr seine Vergangenheit nur bruchstückhaft anvertraut hatte, war sie sich plötzlich sicher: Die toten Frauen, an die ihr Anblick ihn erinnert hatte, waren seine Mutter und seine Schwestern.
Der Kummer um sie durchdrang jeden Ton. Wenn er im Streit seinem Bruder nachgab, erschien er ihr schwach und rückgratlos. Doch nun, da in seinen dunklen Augen so viel Sehnsucht stand, so viel Schmerz und so viel Einsamkeit, dachte sie, dass ein schwacher Mensch sich niemals so schonungslos seiner Trauer stellen würde. Ein solcher würde vor ihr davonlaufen – sie nicht besingen.
Seine Stimme war wandelbar, die Hände, die über die Saiten strichen, sanft und zart. Sie sahen nicht wie Hände aus, die Waffen gehalten und damit getötet hatten – eher wie Hände, die Frauen liebkost und Buchseiten umgeblättert hatten. Hatte er nicht erzählt, dass er hatte studieren wollen? Was war wohl sein liebstes Fach gewesen?
Als er den Kopf hob und ihren faszinierten, hingerissenen Blick bemerkte, brach er sein Spiel abrupt ab.
»Sing doch weiter!«, forderte sie ihn auf.
Er sah sie verwirrt an und zögerte eine Weile. Schließlich berührte er das Instrument, als wäre es ein lebendiges Wesen, das man durch Zärtlichkeiten gnädig stimmen müsse, ehe seine Hände wieder über die Saiten strichen und seine melodische, rauchige Stimme erklang. Diesmal
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